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Archiv-Artikel

Von Spaghettibeinen singen

VORSICHT, ZERBRECHLICH Anmutige Klanglandschaften: Mit ihrem Album „This Silence Kills“ nimmt die junge Sängerin Dillon wieder die Spur zum Star auf

Wie das manchmal so ist. Dann nimmt das Schicksal einen unerwarteten Verlauf. Schlägt das Leben einen Umweg ein. Kommt es anders, als man denkt. Und Dominique Dillon de Byington wird, wenn überhaupt, nur mit großer Verspätung doch noch ein Star.

Dass Dillon, wie sie sich zur besseren Vermarktung verkürzt nennt, zweifellos dazu das Zeug hätte, das beweist die Wahlberlinerin mit „This Silence Kills“. Zerbrechliche Melodien und verstörende Harmonien, fein ziselierte Elektronik, ein spartanisches Klavier, Fingerschnippen und sanftes Schlagzeug stolzieren durch anmutig geschwungene Klanglandschaften. Begleitet werden sie von einer Stimme, die immer wieder an die junge Björk erinnert, aber schnell einen eigenen Charakter entwickelt.

Die Stimmung der Songs, die die heute 23-Jährige allesamt selbst geschrieben hat, ist getragen bis depressiv. Überschaubar aufgeräumt, wenn Dillon in „Thirteen Thirtyfive“ davon singt, wie ihre Beine vor lauter frischer Liebe zu einem viel zu jungen Mann zu Spaghetti werden. Eher niedergeschlagen sind Stimme und Laune in „Gumache“, wenn der Freund gegangen ist, seine Zahnbürste aber immer noch da ist, genau neben dem Waschbecken.

Das Modell ist sattsam bekannt. Eine zwar sensible, aber durchaus selbstbewusste Frau: stark genug, ihre Gefühle bis an die Schmerzgrenze offenlegen zu können, feminin genug, um Beschützerinstinkte beim Zuhörer zu wecken. Das alles erinnert sehr an Zola Jesus, Lykke Li, Nina Kinert oder zuletzt Lana Del Rey.

Doch dass all diese Musikerinnen ungleich erfolgreicher sind als die in Brasilien geborene und in Köln aufgewachsene Dillon, das liegt weniger an der unter der Regie von Thies Mynther (Stella, Superpunk, Phantom/Ghost) und Tamer Fahri Özgönenc (MIT) entstandenen Musik. Sondern vor allem am ungünstigen Timing: Schon vor drei Jahren, Dillon hatte eben ihr Abitur gemacht und war nach Berlin umgezogen, wurde das Mädchen am Keyboard nach nur wenigen auf YouTube veröffentlichten Songs als Nachwuchshoffnung entdeckt. Spiegel Online diagnostizierte, obwohl Dillon über teilweise ziemlich ungehobelten Elektro-Beats schon auch mal durch ein Megaphon deklamierte, eine Stimme, die „man nicht mehr vergisst, wenn man sie einmal gehört hat“.

Das damals bereits recht legendäre, aber immerhin noch existente Label Kitty-Yo hatte sie unter Vertrag genommen, eine erste Single lobte de:bug, das Zentralorgan für elektronische Musik, als „verletzlich, echt, fordernd und herrlich rotzig-naiv“, Tocotronic-Sänger Dirk von Lowtzow ließ Dillon im Vorprogramm seines Nebenprojekts Phantom/Ghost auftreten, deren andere Hälfte Mynther ist. Eine große Karriere drohte. Doch Kitty-Yo war längst keine wirklich gute Adresse mehr, die Laufbahn versandete, kaum dass sie begonnen hatte.

Nun hat sie ein neues, solides Label gefunden, das Megafon ist verschwunden und die Beats sind mittlerweile wundervoll elegant. „This Silence Kills“ erscheint kommende Woche, Dominique Dillon de Byington ist wieder in der Spur zum Star. Das Schicksal kann wieder Fahrt aufnehmen. THOMAS WINKLER

■ Dillon: „This Silence Kills“ (Bpitch Control/Rough Trade), live am 17. 12. im About Blank