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Archiv-Artikel

Jenseits der Verwahrung

HUMANISIERUNG IM STRAFVOLLZUG Sozialtherapeutische Anstalt auf dem Gefängnis-Gelände eröffnet: Gewaltverbrecher sollen dort aufs normale Leben vorbereitet werden

Sozialtherapie

Sozialtherapeutischen Einrichtungen dienen dem Vollzugsziel der Resozialisierung.

■ Für Gewalt und Sexualstraftäter sind sie bei entsprechender Diagnose verpflichtend.

■ Rückfälle sollen damit minimiert, das Leben nach dem Knast wieder erlernt werden.

■ Früher überwog die Anzahl eigenständiger Einrichtungen, mit denen Ideale der Vollzugs-Reform verbunden waren.

■ Im März 2011 gab es in Deutschland 8 selbständige und 53 unselbständige sozialtherapeutische Einrichtungen, mit insgesamt mehr als 2.200 Haftplätzen.

■ Rund 54% der Plätze wurden 2011 von Sexualstraftätern belegt, gefolgt von den Verurteilten wegen Tötungsdelikten mit rund 19%.

VON JEAN-PHILIPP BAECK

Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine Jugendherberge: die neue sozialtherapeutischen Anstalt auf dem Gelände der JVA Bremen. Mit Linoleumböden, Gemeinschaftsküchen und Sesselgruppen. Doch auf den zweiten Blick sind da die Kameras, die schweren Türbeschläge, die Gitter vor den Fenstern und auch der panoptische Überwachungsraum für die Gefängniswärter, der Einblick in beide Trakte ermöglicht. Immerhin sollen hier richtig schwere Jungs einziehen: Sexualstraftäter, Gewaltverbrecher, Mörder.

In der sozialtherapeutischen Einrichtung werden sie auf die Freiheit vorbereitet. Das soll das Risiko für einen Rückfall mindern. Bei Haftantritt muss bei ihnen dafür eine entsprechende Indikation festgestellt werden: eine erhöhte Rückfallgefahr und erhebliches Gefahrenpotenzial. Es geht um Menschen, deren Straffälligkeit psychische Probleme zugrunde liegen, ohne dass sie psychiatrische Fälle sind. In ihren Fällen ist die Therapie nicht freiwillig.

20 Gefangene haben im neuen Gebäude Platz. Bereits in knapp einer Woche sollen die ersten 13 einziehen. Errichtet wurde es für 2,3 Millionen Euro. Bisher wurden sie dafür nach Niedersachsen verlegt. In Bremen sollen sich nun zwei PsychologInnen, eine Sozialarbeiterin und acht Vollzugsbeamte um die Gefangenen bemühen, dazu Arbeitstherapeuten, Theaterpädagogen und Anstaltsgeistliche.

18 bis 26 Monate dauert eine Therapie. Das Ziel ist die vorzeitige Haftentlassung. Hat jemand eine Haftstrafe von neun Jahren, würde die Therapie ab dem vierten Jahr beginnen, zwei Jahre später hätte der Betreffende dann die Chance auf eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung. Wer sich weigert, verspielt diese Chance.

„Um einschlägige Straftaten zu verhindern, ist die Behandlung hochwirksam“, sagt der neue Leiter der Einrichtung, der Psychologe Michael Brinkmann-Poser. Sinnvoll hält er das allerdings nur für eine bestimmte, kleine Gruppe der Gefangenen.

Das wurde einst anders gesehen. Im Zuge der Strafvollzugsreform war in den 1970er-Jahren mit den neuen sozialtherapeutischen Ansätzen die Hoffnung verbunden, diese könnte richtungsweisend für den allgemeinen Vollzug sein: weniger dem Strafbedürfnis der Gesellschaft, als vielmehr dem Ziel der Sozialisierung verpflichtet. Vordenker, wie der Hamburger Jurist Gerhard Rehn, halten dafür allerdings eine räumliche Trennung der therapeutischen von den regulären Vollzugseinrichtungen für wichtig. Eine „integrative Sozialtherapie“ würde unter anderem eine stärkere Öffnung der Anstalt nach außen bedeuten – Lockerungen, die nur in einer eigenen Einrichtung möglich sind, in der die Sicherheitsstrukturen des Regelvollzugs nicht vorherrschen.

In Bremen ist die sozialtherapeutischen Anstalt auf dem Gelände der JVA, deren Ressourcen, wie die Besuchsräume und die Kantine, mitgenutzt werden. Dennoch: Auch Einrichtungsleiter Brinkmann-Poser spricht vom Konzept einer „integrativen Sozialtherapie“: Es gehe um „24-Stunden Therapie“, einen „ganzheitlichen Ansatz“. Die Gefangenen sollen lernen, sozial miteinander umzugehen, normale Kontakte aufzunehmen, möglichst wie in einer WG zusammen zu leben.

Dass sozialtherapeutische Anstalten mit dem regulären Vollzug auf einem Gelände eingerichtet würden, geschehe meist aus Kostengründen, sagt Bernd Wischka, Vorsitzender des „Arbeitskreises sozialtherapeutische Anstalten im Justizvollzug“ und Koordinator der sozialtherapeutischen Einrichtungen Niedersachsens. „Auch für die Bremer wird wichtig werden, wie viel organisatorisch vom Normalbereich getrennt ist“, so Wischka. „Die Sicherheitsanforderungen können den Therapie-Erfolg behindern.“ Die Ideale der 1970er-Jahre nennt er „zu optimistisch“: Es habe „einst die Idee“ vorgeherrscht, „mit genug Geld auch den schlimmsten Verbrecher auf die richtige Bahn bringen zu können“, sagt Wischka. „Heute weiß man: Das ist nicht so.“

Für den Bremer Kriminologen Johannes Feest sind diese Ideale nicht so klar erledigt. Den Neubau aber bezeichnet er als „kleine und durchaus nennenswerte Humanisierung“. Er sieht die Details: die eigenen Waschmaschinen, die den Gefangenen erst ermöglichen, eigene Kleidung zu tragen, oder die modernen Schließvorrichtungen. Gefangene können damit ihre Zellentüren selbst zusperren, was ihnen Privatsphäre erlaubt – obgleich nur vor den Mithäftlingen.