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Archiv-Artikel

Märchen, Mythen, Mitmachen

MÄRCHEN Von Waldgeistern, Nandus und Maismädchen: Die 8. Hamburger Märchentage präsentieren eine Woche lang mit rund 70 Lesungen, Erzählungen, Musik und Tanz Märchen und Legenden aus Lateinamerika

Maya-Mythen, Pacha Mama, Krötenmänner und einbeinige brasilianische Waldschrate

VON ROBERT MATTHIES

Die Geschichte ist schnell erzählt: Aus Neugier fällt der Papagei versehentlich in die Schüssel voll heißer Suppe – und ertrinkt. Schnell erfahren alle die schreckliche Nachricht und die Welt versinkt in Trauer: das Mädchen, das des Vogels Freundin war, beginnt zu weinen, reuevoll erlischt das Feuer unter dem Topf, der an die Wand gelehnte Baum verliert alle Blätter, als er sich vor Schmerz krümmt, der Wind verliert eine Bö, der Himmel erbleicht und die Menschen werden stumm. Aber schließlich gewinnen sie ihre Sprache wieder, als der Töpfer von Ceara alles wissen will und die Menschen ihm erzählen, was passiert ist. Und auch die Freude kehrt zurück: die Trauer aller nimmt der Töpfer zusammen und erweckt den toten Papagei mit seinen Händen wieder zum Leben.

Kraftvoll ist nicht nur die Sprache, mit der der urugayische Journalist, Essayist und Schriftsteller Eduardo Galeano – in den 1970ern weltweit bekannt geworden durch seinen dependenztheoretischen Essay „Die offenen Adern Lateinamerikas“ über die fünf Jahrhunderte ökonomischer und politischer Ausbeutung des Kontinents durch Europa und die USA – die Legende aus dem Nordosten Brasiliens erzählt. Nicht minder ausdrucksstark sind auch die bunten Holzskulpturen, mit denen der spanische Künstler Antonio Santos Bilder für die Geschichte über Trauer und Trost findet. Die nicht zuletzt damit auch ein Gleichnis für die Macht der Kunst ist, aus all dem Leid der Welt neues Leben zu schöpfen.

Zu erleben ist die eindrucksvolle „Geschichte von der Auferstehung des Papageis“ morgen Vormittag in einem Bilderbuchkino in der Bücherhalle Holstenstraße im Rahmen der Hamburger Märchentage, die die Dr. E. A. Langner-Stiftung bis Ende nächster Woche zum achten Mal veranstaltet. Thema sind dieses Jahr Märchen aus Lateinamerika, insgesamt 70-mal gibt es in Schulen, Bücherhallen, Kulturzentren und Theatern Lesungen, Erzählungen, Szenisches, Musik und Tanz unter anderem mit den Schauspieler_innen Volker Lechtenbrink, Peter Lohmeyer, Barbara Nüsse und Erik Schäffler, dem NDR-Kulturredakteur und -Vorleser Hanjo Kesting und der Kinder- und Jugendbuchautorin Isabel Abedi.

Hören kann man dabei nicht nur von Maya-Mythen, der Pacha Mama, Krötenmännern und einbeinigen brasilianischen Waldschraten, sondern auch ganz bissfest nachvollziehbare Geschichten aus Lateinamerika: Etwa, dass jeder Brühwürfel und jeder Hamburger mal ein Ochse war – und da, wo er weidet, einmal dichter Urwald stand.

Und mitmachen kann man auch ganz tatkräftig. In etlichen Schulen gibt es Projekte wie jene, in dem Schüler_innen zu Legenden aus dem Weisheitsbuch der Mayas Improvisationstheater entwickeln, oder ecuadorianische Märchen in einen Hörraum aus Stimmen und Geräuschen verwandeln. Und auch einen Märchen-Schreibwettbewerb gibt es wieder: Bis Anfang Januar können junge Autor_innen aus fünften und sechsten Klassen noch ihr fünfseitiges Märchen einreichen.

■ Fr, 4. 11. bis Fr, 11. 11., Infos und Programm: www.hamburger-maerchentage.de