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Archiv-Artikel

Letzte Freiheit aus Hannover

Die umstrittene Schweizer Sterbehilfeorganisation will in Deutschland Suizide begleiten, um die Rechtslage zu klären. Anlaufstelle ist die Dignitas-Filiale in Niedersachsens Landeshauptstadt. Ein Präzedenzfall soll geschaffen werden

In Deutschland herrsche „ein Zustand, welcher Bürger dieses Landes zwingt, mit den Füßen abzustimmen, wenn sie ihre letzte Freiheit ausüben wollen“, sagt Ludwig A. Minelli, der Chef der umstrittenen Schweizer Sterbehilfeorganisation Dignitas. Deshalb vermittelte die vor zwei Jahren gegründete deutsche Filiale in Hannover Lebensmüde bislang nur in die Schweiz. Das soll sich nun ändern, da Dignitas seine Sterbewohnung in Zürich aufgeben musste.

Offenbar will Minelli über die Hinterhof-Dependance seines deutschen Ablegers namens „Dignitate“ in der hannoverschen Edenstraße nun Sterbewillige anwerben, die in Deutschland den letzten Weg gehen wollen. Auseinandersetzungen vor Gericht sind einkalkuliert.

Dignitas wolle einen Präzedenzfall schaffen und suche nun Todeswillige, erklärte der Berliner Urologe und Dignitas-Vize Christian Arnold. Anlaufstelle ist Hannover. Noch im vergangenen Jahr sollen hier 120 Lebensmüde in die Schweiz vermittelt worden sein.

Das Bundesland Niedersachsen steht dem Versuch Minellis skeptisch gegenüber. “Aber wir werden keine neue Initiative starten, solche Vereine zu verbieten“, sagt Dennis Weilmann, Sprecher des Justizministerium. Eine geplante niedersächsische Bundesrats-Initiative, die „geschäftsmäßige“ Vermittlung von Sterbehilfediensten zu untersagen, war zuvor am Veto der FDP gescheitert.

Niedersachsen wird sich wegen des Patts der Koalitionspartner wohl auch enthalten, wenn eine neue Initiative von Saarland, Hessen und Thüringen im Bundesrat entschieden wird, die die „Vermittlung und Verschaffung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“ unter Strafe stellen soll.

Die Sterbehelfer, denen unlautere Praktiken und unsauberes Finanzgebahren vorgeworfen werden, wollen laut Arnold die Kosten der Strafverfolgung tragen. Wer einem todkranken Menschen beim Suizid assistiert, solle straffrei bleiben. Angehörige oder Ärzte müssen hierzulande einem Bewusstlosen helfen, sonst machen sie sich wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar. Außerdem will Dignitas vor Gericht durchsetzen, dass das in der Schweiz verwendete tödliche Medikament Natriumpentobarbital in Deutschland zugelassen wird.

„Es gibt zwar ein Recht auf Leben, aber keine Lebenspflicht“, sagt der Grüne Ralf Briese. Deshalb hält er von einem Verbot der Suizidberatung nichts. Organisationen, die Sterbehilfe anbieten, gehörten jedoch „unter eine strenge Fach- und Rechtsaufsicht“, sagt Briese.KAI SCHÖNEBERG