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Archiv-Artikel

Jiiihhhhaaaaa!

WORT Scharfsinniger Beobachter und begnadeter Entertainer: T. C. Boyle liest im Sendesaal des RBB aus seinem neuen Roman

Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit arbeite Boyle mit Hochdruck an einer Maschine, die alle Waffen dieser Welt unschädlich mache, sagt er

Die Leute sind gekommen, um zu lachen. Zum Lachen bringen soll sie an diesem Mittwochabend der US-amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle – dass er das draufhat, weiß man schließlich. Entsprechend zahlreich bevölkerten die Zuschauer den großen Sendesaal des RBB zur Lesung von Boyles neuem Roman, „Hart auf hart“ – die vom bestens gelaunten Radiojournalisten Jörg Thadeusz moderierte Lesung ist ausverkauft. Boyle, der historische Stoffe genauso verarbeitet wie er für Outlaw- und Freakromane gefeiert wird, gilt als begnadeter Entertainer.

Boyle, der Ökofreak

Kaum ist Boyle auf der Bühne und hebt die rechte Hand, als wolle er den tausend ZuschauerInnen einzeln „High Five“ geben, geht es los mit den „ungehobelten Fragen“, für die die Deutschen Thadeusz zufolge ja bekannt seien.

Frage: „Wie reich sind Sie wirklich?“ – Antwort: „Immerhin so reich, dass ich meine Frau unterstützen kann, die zu Hause shoppen ist.“ Frage: „Wann sind Sie zu einem Ökofreak geworden?“– Antwort: „Ich war schon seit meiner Kindheit, die ich in New York verbrachte, ein Naturmensch, mochte den Wald und die Tiere dort.“ Frage: „Was hat Ihnen zu diesem Welterfolg verholfen?“ – „Mein Aussehen hat auf jeden Fall dazu beigetragen …“ Und so weiter.

Dabei sieht Boyle doch aus wie immer: ein gefärbtes, nach hinten ausfransendes Vogelnest auf dem Haupt, dazu ein Bart, dessen stilistische Bezeichnung einer kurzen Internetrecherche zufolge hierzulande „Türkenprinz“-Style genannt wird. Bei jeder von Boyles Pointen brechen die ZuhörerInnen in brüllendes Gelächter aus, ein paar Reihen weiter hinten schreit jemand wie ein Cowgirl „Jiiihhhhaaaaa“. Der Berliner Boyle-Lesekreis sitzt offenbar geschlossen hier.

Boyles neues Buch ist eigentlich alles andere als lustig. Das wird spätestens klar, als der Autor gemeinsam mit dem deutschen Schauspieler August Diehl, der das Hörbuch eingesprochen hat, abwechselnd auf Englisch und Deutsch Textpassagen daraus vorträgt. Boyle kann zwar kein Deutsch, lauscht aber interessiert dem geübten Vorleser Diehl. Er sagt, seine Bücher in einer anderen Sprache zu hören, sei für ihn immer interessant. Dabei achte er besonders auf den Rhythmus und die Melodie der Worte. Diehl legt sich mächtig ins Zeug, intoniert aber ernster als Boyle. Der liest die düstereren Passagen vor und erntet dennoch mehr Lacher.

„Hart auf hart“ handelt von Libertariern, von Waffenverrückten und Anhängern der Souvereign-citizen-Bewegung. Seine Protagonisten lehnen die amerikanische Regierung als illegitim ab, da diese von der korrupten Weltmacht der Konzerne eingesetzt worden sei. Sie zahlen keine Steuern und lassen sich lieber einbuchten, als den Sicherheitsgurt im Auto anzulegen. Oder sie führen in selbst gebauten Bunkern im Wald ein Leben als paranoide Außenseiter, umgeben von Schlafmohnpflanzen und Waffen. Vom amerikanischen Traum zum Albtraum ist es bekanntlich kein weiter Weg. Dieses Albtraumartige war immer schon da – er ist Teil des amerikanischen Gründungsmythos.

Boyle sagt, die Entscheidung, über diese Menschen zu schreiben, war in Zeiten von Highschool-Schießereien und Stand-your-ground-Gesetzen, auf die sich Leute berufen, die unbewaffnete Teenager in der eigenen Garage hinrichten, nicht schwer. Ohne dass man es bemerkt hätte, ist Boyle aus der selbst gebauten Humorfalle ausgebüxt. Er reiße zwar gern Witze, sagt er. Daneben zeigt sein neues Buch ihn aber auch als scharfsinnigen Beobachter einer ehemaligen Weltmacht in der Krise. Und nicht zu vergessen, als besorgten Amerikaner.

Was gerade passiert, beunruhige ihn sehr, sagt er. Im Gegensatz zu anderen rüste er sein Haus jedoch nicht mit Waffen auf, sondern schreibe eben ein Buch über Menschen, die das tun. Es sei aus seiner Perspektive immer leicht, sich über Waffenfanatiker lustig zu machen, sie als Spinner abzutun und mit ihnen nichts zu tun haben zu wollen, sagt Boyle. Viel schwieriger dagegen sei der Versuch, wirklich mit ihnen zu sprechen und zu versuchen, ihr Handeln, ihre Sorgen und Beweggründe nachzuvollziehen.

Alles so schlimm

Ach, sei das alles schlimm, fasst Moderator Thadeusz betroffen zusammen. Gebe es denn überhaupt irgendetwas, was man gegen diese radikalen Bewegungen tun könne? Na ja, sagt Boyle, er sei ja neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit auch Erfinder und arbeite mit Hochdruck an einer Maschine, die alle Waffen dieser Welt unschädlich machen werde. Es sei aber alles kompliziert, er bräuchte noch ein Weilchen.

Da ist er wieder, Mr Boyle, der Witzereißer. Der Saal lacht befreit. „Komik ist meine Art, mit Tragik und Verzweiflung umzugehen“, hat Boyle mal gesagt. So funktionieren alle seine Bücher, so funktioniert dieser Abend – und so ist der durchschlagende Erfolg dieses wundervollen Autors zu erklären.

ANNE-SOPHIE BALZER