: Aufstehen, ausgehen, drei Tage wach
DAUERPARTY In Berlin kann man von Donnerstag bis Montag durchfeiern. Ich will es probieren. Scheitern im Selbstversuch
VON ANNE FROMM
Donnerstag, 21 Uhr: Workshop-Party, bin hochmotiviert. Alle haben Ratschläge: Kaffee, Zucker, frische Luft. Mitmachen will keiner. 22 Uhr: Bin ich eigentlich bescheuert? Ich versaue mir den Workshop mit Wachbleiben, sprich: todmüde sein?! 2 Uhr: Partyende. Ich: nüchtern und wach. Beste Voraussetzungen, durchzustarten. Leider nur für mich. Die letzten Gäste flöten mir grinsend „Gute Nacht“ hinterher, lassen mich allein. 3 Uhr: Kreuzberg, leer gefegt. Berlin, was ist los? Lass mich nicht im Stich! Ich lande in einer Schwulenkneipe. Verwunderte Blicke. Freitag, 4 Uhr: Es wird getanzt und gekuschelt. Ich tanze mit. Kuscheln nicht. 5 Uhr: Zu Hause. Kritisch: Mein Bett sieht verführerisch aus. Eine Koffeintablette macht mich unangenehm wach. Knie weich, Herz rast. 16 Uhr: Meine Konzentration schwindet. Worte verschwimmen zu Geräuschwolken, Buchstaben laufen ineinander. Ich fühle mich wie besoffen. 21 Uhr: Adrenalin-Sonderausschüttung: Ich werde durchhalten bis Sonntag! Euphorisch treffe ich Freunde und rede, rede, rede. 3 Uhr: Anstehen vorm Berghain. Gefährlich. Um mich herum gackern Partywillige. Ich kämpfe mit der Müdigkeit. 4 Uhr: Tanzen im Berghain. Jeder Beat dreht mir den Magen um. Unter den Feiernden bin ich bestimmt nicht die Einzige, die seit zwei Tagen wach ist. Dafür aber eine der wenigen, die das ohne Drogen schaffen. Auf der Riesenschaukel liegen einige Abgestürzte. Ich würde mich gern dazulegen. Samstag, 9 Uhr: Tschüss, Berghain. Die U-Bahn kommt, aber ich kann nicht einsteigen. Mein Herz wummert, kalter Schweiß auf der Stirn. Könnte das Experiment schiefgehen? Herzkasper? Panik. Ich sehe ein: Das war’s. Experiment gescheitert. Ich muss niemandem etwas beweisen. Statt in die Redaktion fahre ich nach Hause. Samstag, 10 Uhr: Nach 51 Stunden liege ich endlich im Bett, aber schlafen kann ich nicht. Alles tut mir weh. Meine Fußsohlen brennen, im Rücken zieht es und mein Magen kämpft mit dem Brötchen, das ich ihm zugeführt habe. 12 Uhr: Zwei Stunden habe ich gedöst. Ich fühle mich matt, aber besser als vorhin. Ich kann wieder klare Gedanken fassen. Wieso ist es mir eigentlich so leicht gefallen abzubrechen? Weil es ein Spiel war? Weil ich das Scheitern von vornherein mitgedacht habe? Aufstehen, duschen und in die Redaktion. 14 Uhr: Die Konferenz ist schon in vollem Gange. Leise betrete ich den Sitzungsraum, bleibe aber natürlich nicht unbemerkt. Ein Lachen geht durch die Runde. Da kommt die Gescheiterte. Die, mit den Augenringen, heiser und langsam. Im Berghain bin ich mit meinem starren Blick nicht aufgefallen. Hier bin ich umgeben von fitten, energischen Leuten. Unangenehm. 15 Uhr: Ich versuche meinen Text zu schreiben, aber das fällt mir schwer. Mein Kopf ist leer, mein Denken zäh. Meine Finger kreisen ziellos über der Tastatur. 16 Uhr: Ob ich enttäuscht sei, will eine Kollegin wissen. Überhaupt nicht. Ich habe aufgehört, als ich gemerkt habe, dass es nicht mehr geht. Dass es vorbei ist. Und das hat sich erstaunlich gut angefühlt. Das ausführliche Protokoll auf www.taz.de/hausblog.