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Archiv-Artikel

Mit den Augen hören

Bei „The Look of the Sound“ in Bremen diskutieren Experten über den schweren Stand des Musikfilms im TV

Wenn so ein animalisch animierter Wolf die Nackenhaare sträubt, nach Peter schnappt und die nette Ente schluckt – das hat schon Schmackes. Durch Suzie Templetons visuelle Umsetzung wird Prokofjews Orchesterwerk zum Tierthriller – der sich freilich nicht mehr im Ohr und innerem Auge, sondern primär auf dem Bildschirm abspielt. Bringen Filme wie dieser die Klassik zurück in die Kinderzimmer – also deren Rettung? Oder sind sie Teufelszeug, weil sie das Ursprungswerk zu illustrativer Filmmusik degradieren?

Norbert Waldmann hat die Frage für sich entschieden: „Das ist hervorragendes Feiertagsprogramm“, sagt er bei „The Look of the Sound“, dem internationalen Fernsehforum. Da Waldmann Musikkoordinator der ARD ist, haben seine Worte programmatische Wirkung im engeren Sinn: „Peter und der Wolf“ kommt ins Erste. Dass Musikfilme so selten ins Fernsehen gelangen, ist Ausgangspunkt des Forums in Bremen. Die rastlose Rundfunkrätin Katrin Rabus hat bereits zum vierten Mal Musikfilmregisseure, Programmverantwortliche, Produzenten und Musiker zusammengetrommelt – ein einzigartiges Treffen, das nur einen entfernten Verwandten hat: den Louvre-Wettbewerb „Classique en image“.

Die Veranstaltung ist keineswegs ein Ort entrückter filmästhetischer Rabu(s)listik, sondern grundsätzlicher Kontroversen. Seit „Little Amadeus“ durch den Kinderkanal tobt, melden die Musikschulen steigende Anmeldungen zum Geigenunterricht, sagt der Mann vom Kinderkanal. Dagegen hat bei „Look of the Sound“ keiner was – gegen die Machart der musikalischen Animation manche aber schon. Strittig ist auch die Frage, wer beim Bonner Beethovenfest die besten Plätze hat: das erlesene Publikum im Saal – oder das „Public Viewing“-Volk auf dem Marktplatz, das den Livemitschnitt mit vielen Nahaufnahmen verfolgt. Festivalintendantin Ilona Schmiel bekennt freimütig, sie wäre eigentlich lieber draußen gewesen – was Helmut Lachenmann, der kämpferische Komponist, nicht so gern hört.

Über Lachenmann selbst gibt es facettenreiche Filme, die die Bereitschaft zur persönlichen Klangerfahrung mit Sicherheit steigern. Vor allem aber ist so ein Symposium unerlässlich zur Diskussion von Musikfilmen, die fernsehtechnisch in der Versenkung verschwunden sind. Bestes Beispiel: „Hitlers Hitparade“ – trotz Grimme-Preis wurde sie nur zweimal bei Arte ausgestrahlt. Dafür verantwortlich sind wohl nicht nur die teuren Lizenzen für das Archivmaterial, aus dem der Film ausschließlich besteht, sondern auch das Fehlen jedweden Political Correctness garantierenden Kommentars.

Dabei ist es ziemlich erhellend, sich mal ungeschützt dem „schönen Schein des Faschismus“ auszusetzen: zu erleben, wie swingend, modern, frivol, sogar selbstironisch er sich in Werbung und Musikrevuen gerieren konnte. Dass sich Eva-Herman-affine Menschen an ihm ergötzen, weiß der Film schon selbst zu verhindern: Zunehmend mutiert er zur Kontrastmontage, in dem sich bei gleich bleibender Tonspur Bilder von Deportation und Kriegsverstümmelungen einblenden. Hier jedenfalls vergeht einem beim Sehen das Hören. HENNING BLEYL, BREMEN