: Auf der Suche nach dem Hohlraum
DÄMMUNG Bei der Sanierung von Häusern kommt es nicht immer auf die Dämmplatten der Fassade an. Oft gibt es wirtschaftlichere Methoden
VON BERNWARD JANZING
Es hakt – und zwar gewaltig. Die Sanierungsquote der Wohngebäude in Deutschland dümpelt auf niedrigem Niveau – gerade 0,8 Prozent aller Objekte bekommen alljährlich einen zeitgemäßen Wärmeschutz verpasst. Ein wesentlicher Grund ist die massive Verunsicherung der Hauseigentümer: Soll man sanieren? Wenn ja, wie soll man sanieren? Und wann amortisiert sich das Ganze überhaupt?
Höchste Zeit also, das Thema einmal sachlich anzugehen. Arnold Drewer vom Institut für preisoptimierte energetische Gebäudemodernisierung hat zwei Faustregeln parat. Zum einen schaut er auf das Baujahr: Bei Häusern, die vor der ersten Wärmeschutzverordnung von 1977 erbaut und seither nicht wärmetechnisch saniert wurden, lohnt sich die Dämmung eigentlich immer, rät er.
Als zweites hilft ein Blick auf den Gebäudeenergiepass. Den muss jeder Eigentümer heute spätestens beim Verkauf oder der Neuvermietung einer Immobilie vorliegen haben. Die darin enthaltenen Daten können aufschlussreich sein: „Braucht ein Haus pro Jahr mehr als 200 Kilowattstunden pro Quadratmeter an Heizenergie, dann riecht das sehr nach einer notwendigen Dämmung“, sagt Drewer. Bei weniger als 140 Kilowattstunden hingegen sei eine Dämmung oft nicht wirtschaftlich. Dazwischen kommt es auf den Einzelfall an.
Wer nun sanieren will, und anfängt zu kalkulieren, steht allerdings vor einem grundsätzlichen Problem: Jede Berechnung steht und fällt mit den Energiepreisen, die man für die nächsten Jahre und Jahrzehnte annimmt. Der Ölpreis lag im Jahr 2008 bei fast 150 Dollar pro Barrel, Anfang 2015 hingegen zeitweise unter 50 Dollar. Viele Sanierungen, die 2008 rentabel erschienen, sind es heute nicht. Die Preise werden zwar wieder steigen, doch wie weit? Da hat jeder seine eigenen Ansichten.
Am besten nutzt man also für die Berechnung Tabellen, die an das individuelle Projekt angepasst werden und die eigenen Erwartungen abbilden können. Eine solche hat zum Beispiel das Umweltinstitut München bereitgestellt. Sie trägt den Titel „Wirtschaftlichkeit von Dämmmaßnahmen“. Wenn dabei allerdings lange Amortisationszeiten herauskommen, muss das gleichwohl noch lange nicht gegen die betreffende Sanierung sprechen. Denn Dämmung kann auch mehr Wohnkomfort bieten, und einer sommerlichen Überhitzung der Räume entgegenwirken – was ökonomisch schwer bezifferbar ist.
Und noch ein Aspekt macht jede wirtschaftliche Kalkulation schwer: das individuelle Verbrauchsverhalten. Statistiken der Ablesefirmen zeigen, dass die Heizkosten bei identischer Bausubstanz in einem verschwenderischen Haushalt mehr als viermal so hoch sein können, wie in einem sparsamen. Dämmexperte Drewer kennt aus eigener Anschauung sogar Fälle von baugleichen Wohnungen, in denen der eine Bewohner zehnmal so viel Heizwärme verprasst wie der andere.
Grundsätzlich sollte man zudem folgendes wissen: Anders als beim Auto, dessen Verbrauchsdaten üblicherweise so knapp kalkuliert sind, dass man sie in der Praxis kaum unterbieten kann, sind die Werte beim Haus sehr großzügig angesetzt. Wer beim Heizen ein wenig Umsicht walten lässt, kann daher die Normverbräuche deutlich unterschreiten – was freilich wiederum die Amortisationsrechnung beeinflusst: Eine Dämmung etwa, die den rechnerischen Heizbedarf eines Schlafzimmers senkt, bringt wenig Einsparung, wenn der Raum in der Praxis ohnehin kaum beheizt wird.
Neben dem eigenen Heizverhalten kann aber auch die Ausführung der Dämmung schuld sein, wenn die Einsparung nach der Sanierung geringer ausfällt als erhofft. „In Deutschland sind 20 bis 30 Prozent aller Dämmungen falsch geplant oder ausgeführt, zum Teil sind sie völlig unwirksam“, sagt Experte Drewer.
Auch der nicht immer sachliche Drang zum Vollwärmeschutz kratze am Renommee der Wärmesanierung. Oft, sagt Drewer, gebe es sinnvollere und auch deutlich wirtschaftlichere Dämmmethoden, als das Haus in Dezimeter dicke Polystyrolplatten zu verpacken. Gerade in Norddeutschland: „Ab Kassel nordwärts wurden in Deutschland in der Vergangenheit viele Häuser mit Hohlschichten gebaut.“ Es gebe in der Praxis alleine zehn verschiedene Arten von Hohlschichten, die man auffüllen könne, etwa sei in Holzbalkendecken Dämmstoff sehr elegant unterzubringen. Mehr als eine Milliarde Quadratmeter an Hohlschichten gebe es in deutschen Häusern – ein enormes Dämmpotenzial also.
Das Einblasen von Dämmstoff in diese Hohlräume koste mitunter nur 20 Prozent dessen, was für ein Wärmedämmverbundsystem zu veranschlagen ist. Und man verändert die Optik des Hauses nicht einmal, womit das Verfahren auch für stilvolle Altbauten bestens geeignet ist.
Wer nun die Kosten des manchmal nur schwer amortisierbaren Vollwärmeschutzes scheut, kann in der Dämmung der oberen Geschossdecke mitunter eine hochattraktive Alternative finden – sofern sich darüber ein unbeheiztes und ungedämmtes Dachgeschoss befindet. Nur leider sei die Geschossdecke „das vergessene Bauteil“, sagt der Dämmexperte. Dabei amortisiere sich die Wärmedämmung dort in der Regel in weniger als fünf Jahren. In der Praxis jedoch dämmten die meisten Hauseigentümer, wenn sie die Wärmeverluste durchs Dach vermindern wollen, lieber zwischen den Sparren im Dachgeschoss. Das ist aber deutlich teurer.
Aus Drewers Sicht leidet das Thema Dämmung vor allem daran, dass sowohl Planer, wie auch Architekten und Baustoffhändler häufig viel zu wenig wissen: „Es gibt keinen Dämmfacharbeiter im Handwerk, das ist ein großes Defizit.“ Und Architekten lernten nur im ersten Semester etwas Bauphysik, mehr nicht – unverständlich sei das, bei diesem wahrlich nicht trivialen Thema: 80 verschiedene Dämmverfahren hat der Sanierungsexperte identifiziert, mit unterschiedlichsten Baustoffen und für unterschiedlichste Stellen am Objekt. Doch statt die Vorteile und Charakteristika einer guten Wärmedämmung zu diskutieren, klagt er, werde in der Öffentlichkeit nur lautstark das Für und Wider der Polystyrolfassaden debattiert.