: Wer isst schon Kartoffeln mit Stäbchen?
HUNGER Die Kartoffel ist ertragreicher als Reis und ihr Anbau verbraucht weniger Wasser. Weil China wächst, will die Regierung den Chinesen die Knolle als neue Sättigungsbeilage verordnen. Aber sie schmeckt ihnen nicht
Die nierenförmige Heidekartoffel wurde 1953 zugelassen. Obwohl die Züchter, eine Genossenschaft in Soltau, von den „Salat- und Bratkartoffeleigenschaften“ schwärmten, konnte sie sich am Markt kaum behaupten. 1966 endete die geschützte Zulassung, danach wurde das Pflanzgut in DDR-Genbanken am Leben erhalten. 1996 begann der Wiederanbau. Auf der Biofach, der weltgrößten Messe für Biolebensmittel, wurde sie zur „Kartoffel des Jahres 2015“ gekürt.
AUS PEKING UND BERLIN FELIX LEE UND JÖRN KABISCH
Yang Yulan mag Kartoffeln. Die Studentin, 23 Jahre alt, sitzt in einer Pekinger Filiale der Schnellimbisskette Kentucky Fried Chicken. Vor dem Verkaufstresen reihen sich die Schlangen. Die Angestellten rufen sich lautstark die Bestellungen zu, die Kassen klingeln. Es riecht nach heißem Fett. Damit der Geruch sich nicht in ihren Rollkragenpulli und ihre weiße Bluse beißt, hat Yang ihre dunkle Daunenjacke anbehalten. Neben frittierten Hühnerschenkeln hat sie eine große Portion Pommes vor sich auf dem Tablett stehen. Die gibt es im Menü stets dazu.
Yang taucht eine Fritte in Ketchup und steckt sie sich in den Mund. Ja, sagt sie, sie esse gern die „gestückelten Kartoffeln“, shutiao, wie sie auf Chinesisch heißen. Die Kartoffel als ganze Knolle serviert bekommen – das will sie aber nicht. „Ich weiß, ihr Deutschen mögt das“, sagt sie. „Aber wir Chinesen vertragen das nicht. Kartoffeln liegen uns schwer im Magen.“
Jede vierte Kartoffel, die heute geerntet wird, hat ihren Ursprung in China. Damit ist das Reich der Mitte der weltgrößte Kartoffelproduzent. Doch rund die Hälfte der Weltkartoffelernte landet nicht auf dem Tisch, sondern wird industriell zu Stärke verarbeitet oder als Viehfutter verwendet. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Kartoffeln ist in China im Vergleich zum Westen immer noch sehr gering. Bislang werden die „Erdbohnen“, tudou, wie sie wörtlich übersetzt in der Volksrepublik heißen, in der chinesischen Alltagsküche meist nur in kleine Streifen geschnitten, im Wok kurz gebraten und dann als Gericht serviert. Anders als Reis oder Weizennudeln sind Kartoffeln in China keine Sättigungsbeilage, sondern werden wie anderes Gemüse zubereitet.
Das ideale Lebensmittel
Das soll sich nun ändern. Chinas Vizelandwirtschaftsminister Yu Xinrong kündigte Anfang Januar an, die heimische Kartoffelanbaufläche von derzeit 5,3 Millionen Hektar bis 2020 auf über 10 Millionen Hektar zu verdoppeln. Über 80 Millionen Tonnen Kartoffeln werden derzeit bereits im Jahr in China geerntet.
Wie einst der Alte Fritz in Preußen mit seinem „Kartoffelbefehl“ will auch die chinesische Führung von oben verordnen, dass Kartoffeln in China künftig zu einem Grundnahrungsmittel werden. „Kartoffeln vertragen Kälte, Trockenheit und können in Südchina auch im Winter angepflanzt werden“, preist Vizelandwirtschaftsminister Yu die Vorteile. Er sieht in der Kartoffel das „ideale Lebensmittel“, die Ernährungsprobleme im Land zu lösen.
Trotz Chinas rasanter Wirtschaftsentwicklung und des gewachsenen Wohlstands in den vergangenen zwei Jahrzehnten sind der offiziellen Statistik zufolge nach wie vor rund fünf Prozent der Kinder unterernährt. Zugleich steigen die Ansprüche an Ernährung. Die Menschen geben sich nicht mehr mit einer Schale Reis oder einer Schüssel Nudelsuppe pro Mahlzeit zufrieden, sondern essen mehr, vielseitiger und kalorienreicher. Nach Berechnungen des Landwirtschaftsministeriums braucht China bis 2020 zur Bedarfsdeckung 50 Millionen Tonnen mehr Lebensmittel im Jahr. Wenn die Bevölkerung allen Prognosen gemäß bis 2050 von derzeit 1,4 Milliarden auf dann 1,5 Milliarden Menschen angewachsen ist, werden gar 100 Millionen Tonnen mehr Lebensmittel benötigt, als noch derzeit im Jahr verbraucht werden. Hoffnung macht da die Kartoffel.
Denn die Volksrepublik hat ein Problem: Es gibt längst nicht mehr genug Agrarfläche. Vor allem der Norden des Landes ist in weiten Teilen unfruchtbar. Die Winter sind lang und kalt, die Sommer trocken. Reis wächst auf dem trockenen Boden gar nicht, Weizen und Gerste gedeihen nur noch schlecht. Der Klimawandel hat in den vergangenen Jahren dazu beigetragen, dass sich die Steppe immer weiter ausbreitet. Schon jetzt muss das bevölkerungsreichste Land der Welt einen Großteil seiner Lebensmittel aus dem Ausland einführen – auch Yang Yulans geliebte Pommes, die tiefgefroren in der Fritteuse landen. Rund 130.000 Tonnen sind es pro Jahr.
Der Kartoffel machen diese rauen Bedingungen nicht viel aus. Das Nachtschattengewächs, das schon vor mindestens 6.000 Jahren von den Inkas auf dürren, steinigen Terrassenfeldern der Anden kultiviert wurde, ist wie geschaffen für das trockene Nordchina. Für Liang Xisen bedeuten die Pläne der chinesischen Regierung ein lukratives Geschäft. Er ist Vorsitzender der Xisen Potato Industry Group Co. Ltd., ein Unternehmen, das seinen Stammsitz in Yanqing hat, einem Vorort von Peking. Als „Kartoffelkönig“ bezeichnet sich Liang. Kartoffeln baut seine Firma auf dem Gelände zwar nicht in großem Stil an. Das überlässt er den Bauern. Xisen Potato beliefert sie mit sogenannten Mutterknollen, aus denen zunächst die Pflanze wächst und dann die für den Verzehr vorgesehenen Knollen. Seine Firma ist Chinas größter Saatgutproduzent für Kartoffeln.
Im November hat das US-amerikanische Landwirtschaftsministerium die genmanipulierte Kartoffelsorte zugelassen, die aus der Russet Burbank hervorgegangen ist. Entwickler ist die Firma Simplot, einer der Hauptlieferanten von McDonald’s. The Innate läuft nicht mehr braun an und soll in der Fritteuse weniger Acrylamid produzieren, das als krebserregend gilt. Vor der Zulassung monierten Gentechnik-Kritiker, die neue Knolle sei zu wenig getestet worden. Ob McDonald’s die Designerkartoffel frittiert, ist nicht bekannt.
Pilze, Viren, Bakterien
In sterilen Laboren sitzen Hunderte von zumeist älteren Frauen in Kitteln, die mit Gasbrennern Reagenzgläser desinfizieren und darin vorsichtig Keimlinge platzieren. Also das, was aus den Kartoffeln sprießt, wenn man sie zu hell und feucht lagert. Die Röhrchen werden anschließend in große, lichtdurchflutete Gewächshäuser gebracht. Nach exakt 29 Tagen haben sich bereits Pflänzchen entwickelt, die aus den Gläsern herausragen. „Auf Hygiene wird sehr viel Wert gelegt“, erläutert Li Huaming, ein Mitarbeiter von Xisen. Denn Kartoffeln seien anfällig für Krankheiten, die durch Pilze, Viren und Bakterien ausgelöst werden. Besonders gefürchtet ist die Kartoffelfäule, eine Pilzkrankheit. „Nur ein infizierter Keimling kann die Ernte einer ganzen Saison kaputt machen.“
Viele Kartoffelsorten, die in China angebaut werden, stammen aus Europa oder vom amerikanischen Kontinent. Sie sind den dortigen Böden und klimatischen Verhältnissen angepasst. Eigene Kartoffelsorten zu züchten, damit hat man in China noch verhältnismäßig wenig Erfahrung. Doch die Ertragsvorstellungen der intensiven Landwirtschaft verlangen ständig Neuentwicklungen: Kartoffeln, die mit weniger Wasser noch dicker werden, noch resistenter gegen alle möglichen Feinde und Krankheiten sind. Auch die meisten Kartoffeln, die in Europa auf den Tisch kommen, sind recht junge Züchtungen und erst ein paar Jahrzehnte alt. Weil China nie großen Wert auf eigene Sorten gelegt hat, sind die Kartoffelerträge heute gering und die Pflanzen anfällig für Seuchen geworden.
Die Knolle macht satt
Xisen arbeitet daher daran, neue Sorten zu entwickeln, die sich speziell für den trockenen Boden im Norden und Westen Chinas eignen. Kein leichtes Unterfangen. Denn hinzu kommt das von der chinesischen Führung vorgegebene Ziel: Nicht nur die Fläche für den Kartoffelanbau soll ausgeweitet werden, sondern auch der Ertrag. Statt 15 Tonnen pro Hektar sollen die Bauern schon bald 30 Tonnen ernten können. Es braucht spezielle, noch genügsamere Sorten. Dafür hat die Regierung der Firma große Mengen an Forschungsgeldern zur Verfügung gestellt. Sie erwartet schleunigst Ergebnisse.
Die Chinesen konsumieren heute viel mehr Fleisch als früher. Chinas Führung will das Volk nun zu einem gesünderen und ausgewogeneren Ernährungsverhalten bewegen. Auch hier bietet sich die Kartoffel an. Sie gilt als vitaminreich, fettarm und zugleich sättigend. Von allen Gemüsesorten weiß der menschliche Körper ihr Eiweiß am besten zu verwerten, sogar noch besser als das Soja-Eiweiß.
Weil Kartoffeln schnell wachsen und sehr viel weniger Wasser benötigen als Reis, Weizen oder andere Getreidefrüchte, wird sie auch von internationalen Agrarökonomen als ideale Kulturpflanze für Kleinbauern in armen Entwicklungsländern gepriesen. Die Experten der Welternährungsorganisation FAO glauben sogar, dass es mit der Kartoffel am ehesten gelingen könnte, die Ernährungsprobleme auf dem Planeten in den Griff zu bekommen.
Die Wirkung der Kartoffel auf Europa zeigt eindrücklich, dass vieles für diese These spricht: Kartoffeln gediehen auf kargen Böden. Sie schützten nicht nur vor dem Verhungern. Die Menschen waren außerdem besser ernährt und konnten Krankheiten eher trotzen. Dem schottischen Nationalökonomen Adam Smith, einem der großen Theoretiker des Kapitalismus, waren dafür vor allem die Iren ein Beispiel. Auf der bitterarmen Insel bestand die Ernährung der untersten Schichten fast ausschließlich aus Kartoffeln und Milch. Und trotzdem, so schreibt Smith 1776 fasziniert in seinem Hauptwerk „Wohlstand der Nationen“, gehörten diese Menschen „zu den kräftigsten Männern und den schönsten Frauen im ganzen Königreich“. Die Kartoffel entpuppte sich als das eigentliche Gold des amerikanischen Kontinents, die Kohlehydratbombe, die den Weg ins Industriezeitalter mit seinen Arbeiterheeren sicherte.
Sie braucht wenig Nährstoffe und wächst in nasser Erde. Das machte Irish Lumper Mitte des 19. Jahrhunderts zur idealen Kartoffel für Irland. Doch die Monokultur war auch ein Grund dafür, dass die Insel die größten Missernten in Europa einfuhr, als wenig später die Kartoffelfäule von Amerika über den Atlantik sprang. Bei der großen Hungersnot starben zwischen 1845 und 1852 schätzungsweise eine Million Menschen.
Einer der ersten in Deutschland, der den Wert der Kartoffel erkannte, war Friedrich II., der nach den verheerenden Schlesischen Kriegen Preußen wiederaufbauen und zu alter militärischer Stärke führen wollte. Die Kartoffel passte dafür ausgezeichnet, nicht nur wegen ihres Nährwerts, sondern weil sie auch einen hohen Ertrag auf den kleinen Äckern versprach, die der König großzügig auf neu gewonnenem Land verteilte. Seine Militärstrategen hoben noch einen Vorteil hervor: Weil die Knollen unter der Erde wuchsen, war die Kartoffel vor plündernden gegnerischen Armeen sicherer als Getreide, die bis dahin üblichen Brotpflanzen.
Aber auch in Europa lag vielen Menschen die Kartoffel anfangs schwer im Bauch. Dazu trug nicht nur das Unwissen bei, was an der Pflanze überhaupt genießbar ist, nämlich die Knolle. Auch die Erdäpfel selbst waren mit heutigen Kartoffeln nicht zu vergleichen. Sie hatten einen wesentlich höheren Gehalt an Solanin, ein natürliches Gift, das mindestens Völlegefühl, aber auch Übelkeit und Erbrechen verursachen kann. Solanin ist der Grund, warum wir gelernt haben, Kartoffeln zu kochen und grüne Stellen wegzuschneiden.
Lobpreis der Kartoffeln
Für den preußischen König waren das nur Geschmäcklereien. Auf das Jahr 1746 datiert der erste von insgesamt 15 Kartoffelbefehlen, die Friedrich II. erließ. Es konnte ihm nicht schnell genug gehen. Er setzte Pastoren ein, die von der Kanzel herab die Kartoffel priesen und im Volksmund alsbald „Knollenprediger“ genannt wurden. Doch selbst die Kirchenvertreter konnten lange nichts gegen die Widerstände ausrichten. Die Tartoffel, wie sie damals hieß, passte nicht in die damals übliche Dreifelderwirtschaft. Wie jede Neuerung wurde sie misstrauisch aufgenommen. Und so erzählte man sich in Preußen zum Beispiel die Gruselgeschichte, die Kartoffel bringe die Lepra.
Erst nach 1764, also vor 250 Jahren, stieg der Anbau der Tartoffel sprunghaft an. Friedrich II. hatte seine Beamten gerügt, endlich dafür zu sorgen, dass „in allen Dörfern die Anpflanzung geschehe“. Jeder Bauer musste seitdem wenigstens 200 Knollen im Jahr auslegen, Gärtner die Hälfte, hieß es in dem betreffenden Kartoffel-Befehl. Diesmal hatten die Worte des Königs die gewünschte Wirkung. Die Erinnerung an die Hungerjahre während des Siebenjährigen Krieges 1756–1763 war es, die der neuen Feldfrucht in Preußen die Furche ebnete, sagen die meisten Historiker. Und wenn man dem Kulturgeschichtler Gunther Hirschfelder folgt, dann war es wohl auch ihre Eignung zur Spirituosenherstellung, die preußische Bauern überzeugte. Sie brannten nun Kartoffelschnaps statt Korn – so hatten die Bauern mehr Weizen und Korn fürs Brot übrig.
Sie gedeiht im Norden
Auch in China ist die Kartoffel kein so junges Gemüse mehr. Sie wird hier schon seit Jahrhunderten angebaut. Nach ihrer Ankunft in Europa brachten portugiesische Händler und Missionare in Zeiten der Ming-Dynastie Anfang des 17. Jahrhunderts die Kartoffel mit anderen südamerikanischen Gewächsen wie Erdnüssen und Chili nach China. Die Knolle fand in den trockenen und bergigen Regionen im Norden Heimat und führte auch hier zu einem rapiden Bevölkerungswachstum, wie die englische Kochbuch-Autorin Fuchsia Dunlop schreibt. Nur als Grundnahrungsmittel konnte sich die Kartoffel nach den ersten erfolgreichen Jahren nicht durchsetzen.
Die Kartoffel wurde bereits 1940 auf der Ostseeinsel Poel gekreuzt, 1952 wurde die neue Sorte in der DDR unter dem Namen Ora zugelassen. Man kennt sie auch als Mira. Weil sie nur langsam keimte, eignete sich die mehlige Kartoffel gut zum Einlagern und brachte außerdem hohe Erträge. Bereits 1956 gelangte sie nach China. Weil es keine Saatgutpflege gab, wurde die Sorte krankheitsanfällig und die Erträge sanken. In der DDR wurde Ora von Adretta abgelöst. Die Ora-Weiterentwicklung wuchs zeitweise auf mehr als der Hälfte der Kartoffelanbaufläche der DDR.
Hätte sie sich damals bereits durchgesetzt, wäre China zwischen 1959 und 1961 vielleicht nicht zum Schauplatz eines der größten Hungerkatastrophen der Menschheit geworden, wie der englische Wissenschaftsjournalist John Reader erklärt.
Mit dem „Großen Sprung nach vorn“ wollte Mao Zedong das Reich der Mitte im Hauruckverfahren zu einem kommunistischen Wirtschaftsidyll umbauen. Zwangskollektivierungen und die staatliche Lenkung der Landwirtschaft waren die Folge. Die Agrarreform orientierte sich an den Lehren von Trofim Lyssenko, dem führenden Biologen Stalins. Der Antidarwinist hatte die moderne Genetik als „unsozialistisch“ verworfen und war überzeugt, dass Pflanzen sich schon im Lauf eines Lebenszyklus an neue Umweltbedingungen anpassten. Gemäß dieser Lehre wurde nun auch in China Getreide in dafür absolut unwirtlichen Gegenden ausgebracht. Die Felder wurden noch dazu enger bepflanzt – obwohl diese Reformen schon in Russland zu großen Missernten geführt hatten.
Anders als Lyssenko hatte Mao die Kartoffel, eine der nahrhaftesten und widerstandsfähigsten Pflanzen, gleich ganz aus dem Landwirtschaftsplan gestrichen. Dass die Kartoffel nicht für den „Großen Sprung nach vorn“ nutzbar gemacht wurde, war eine der vielfältigen Ursachen für dessen katastrophale Folgen. Die große Hungersnot von 1959 bis 1961 gilt mit 15 bis 43 Millionen Toten als die größte der Menschheit.
Erst nach Maos Tod begann unter Deng Xiaoping ein Umdenken – und eine Rückbesinnung auf die Kartoffel. Seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeitet Peking mit dem Internationalen Kartoffelinstitut in Lima zusammen. Als deren Experten während ihres ersten Besuchs Bauern nach ihrem Vortrag fragten, was sie gelernt hätten, antworteten die: „Dass es mehr als eine Sorte Kartoffeln gibt.“
In China wurde damals ausschließlich eine Kartoffelsorte angebaut: Mira, ein wuchtiges Exemplar, das einst für die DDR-Landwirtschaft entwickelt worden war, nach Jahrzehnten der Monokultur aber seine Widerstandskraft verloren hatte und gehäuft Missernten einbrachte. Mit der Nachfolgerin, der „Cooperation 88“, die mit den peruanischen Experten entwickelt wurde, gelang der Aufstieg zum Superproduzenten.
1870 entwickelte der US-amerikanische Botaniker Luther Burbank eine Sorte, die sich als resistenter gegen den Kartoffelfäule-Pilz erwies. Bis heute gehört die große Knolle, die rotbraune Sprenkel trägt, zu den Stars auf den Äckern der USA, obwohl sie viel Wasser und Pestizide und lange Zeit zum Reifen braucht. Wegen ihrer Größe und Länge eignet sie sich gut für Pommes: Sie gilt als die McDonald’s-Kartoffel.
In der chinesischen Alltagsküche fristet die Kartoffel aber bis heute ein Randdasein. Lediglich im Südwesten, in den Provinzen Sichuan und Yunnan, finden sich lokale Küchen, die Kartoffeln, gebraten, gestampft oder zu Fladen verarbeitet, als köstliches Hauptgericht servieren. In den meisten anderen Landesteilen wird die Kartoffel in Scheiben oder kleine Streifen geschnitten und stark gewürzten Gemüsegerichten beigefügt, oder sie schwimmt in Stücken mit einem Rinderknochen in einer kräftigen Suppe. Es fällt kaum auf, wenn sie weggelassen wird. Rettich oder Rübe tun es auch.
Im Jahr 2008, das von den Vereinten Nationen zum internationalen Jahr der Kartoffel ausgerufen wurde, aß ein Chinese im Durchschnitt pro Jahr davon etwa 30 Kilo. Heute sind es rund 40 Kilo, in Europa und den USA dagegen werden pro Jahr und Einwohner 60 bis 70 Kilo verzehrt. Im Westen hat der Kartoffelkonsum abgenommen. Hier wird Reis immer beliebter. Dass der Abstand zwischen China und dem Westen beim durchschnittlichen Kartoffelverzehr nicht mehr so groß wirkt, liegt daran, dass die meisten Chinesen die Kartoffel vor allem als Chips und Pommes frites kennen. Besonders letztere sind in China sehr beliebt.
Die Kartoffel am Stück, so ist oft zu hören, schmeckt vielen Chinesen mehlig oder fad. Der Regierung ist das Problem bewusst. Einer ihrer Vorschläge lautet: Die chinesische Lebensmittelindustrie soll verstärkt Kartoffel in Mehl oder Flockenform anbieten. Statt Weizennudeln könnte es dann Nudeln aus Kartoffelmehl geben.
Derzeit strahlt der chinesische Staatssender CCTV eine Kochserie aus, die sich der tollen Knolle widmet. Die Köche zeigen, was sich alles damit zubereiten lässt – auch nach klassischer chinesischer Rezeptur: Kartoffel süßsauer, Gung-Bao-Kartoffeln mit Erdnuss und Chili, Kartoffelnudeln. Selbst die Peking-Ente lässt sich in Kartoffelfladen wickeln. In einer der letzten Sendungen höhlte der Fernsehkoch eine im Ofen gebackene faustgroße Kartoffel aus, füllte sie mit geschnetzeltem Hühnerfleisch und goss eine mit Austern- und Sojaextrakt angedickte Soße darüber. Als Beilage befand sich in der Reisschüssel Kartoffelbrei.
Yang Yulan hat ihre Portion Pommes mit Genuss gegessen. Sie sagt, sie könne sich Kartoffeln Gung Bao-Art sehr gut vorstellen, in Flocken, Nudel- oder Fladenform auch: „Hauptsache, die Kartoffel ist klein geschnitten.“ Sie hätte auch sagen können: Möglichst gut versteckt.