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Archiv-Artikel

In Zentralasien wird das Wasser knapp

Zug um Zug zur Klimakonferenz nach Bali: Nach 21 Tagen Reise und 5.200 Zugkilometern berichtet taz-Redakteur Nick Reimer aus Ostkirgisien, einer Gegend, die wie keine andere vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen ist. taz-Serie, Teil 3

IM ZUG NACH BALI

Fliegen ist die klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Trotzdem nutzen Anfang Dezember rund 6.000 Diplomaten, Wissenschaftler, Minister, Lobbyisten, Klimaschützer, Journalisten diesen Weg, um auf die indonesische Insel Bali zu gelangen. Dort findet vom 3. bis 14. Dezember der nächste Weltklimagipfel statt. Wer von Deutschland nach Bali fliegt, verursacht 4,4 Tonnen Kohlendioxid – so viel wie fünf Inder in einem Jahr. Deshalb hat sich taz-Umweltredakteur Nick Reimer mit dem Zug in Richtung Bali aufgemacht. Ist das eine Alternative? Welche Rolle spielt der Klimawandel im Alltag der Menschen? Ist Klimapolitik ein Wohlstandsphänomen? Einmal in der Woche berichtet Nick Reimer über seine Reiseeindrücke.

AUS TSCHOLPONATA NICK REIMER

Es ist ein wunderschöner Herbst-Sonntag im ostkirgisischen Tscholponata. Auf dem tiefblauen Issyk-Kul, dem zweitgrößten Bergsee der Welt, tanzen weiße Gischtkämme, die schneebedeckten Berggipfel strahlen in der Sonne, das Gelb der Pappeln leuchtet.

Doch die Aussichten für die idyllische Region sind nicht gut, sagt Wladimir Wladimirowitsch Romanowski. Der 63-jährige Wissenschaftler leitet das Labor des „Instituts für Wasserprobleme und Hydroelektroenergie“ an der Kirgisischen Akademie der Wissenschaften. „Alles über den Issyk-Kul“ heißt das 400 Seiten starke Werk, dass Romanowski kürzlich vorlegte. Mit erschreckenden Ergebnissen: Nirgendwo auf der Welt ist demnach der Klimawandel so weit fortgeschritten wie hier am Issyk-Kul in Zentralasien. Nach Erhebungen des Intergovernmental Panel of Climate Change (IPCC) stieg die globale Temperatur zwischen 1950 und dem Jahr 2000 um ein halbes Grad. „Bei uns ist aber die Temperatur in nur 40 Jahren im Jahresmittel um zwei Grad gestiegen. Und wenn das so weitergeht, wird sie 2070 fünf Grad höher sein“, sagt Ramonowski.

Mit dramatischen Folgen, zum Beispiel für den 700 Meter tiefen Issyk-Kul-See, der zwar etwa 80 Zuflüsse, aber keinen Abfluss besitzt: Binnen der letzten zehn Jahre sank sein Wasserspiegel um 90 Zentimeter. „Und das, obwohl sich das Abschmelzen der Gletscher rasant beschleunigt hat“, sagt Romanowski: So ist etwa die Firngrenze des Kara-Batkak-Gletschers im zentralen Tientschan binnen 40 Jahren um 18 Meter geschrumpft. Romanowski sagt: „Die Arbeiten meines Kollegen Kuzmicenok zeigen, dass sich die Gletscherschmelze linear zum Temperaturanstieg verhält.“ Wie also kommt es zur Absenkung des Issy-Kul-Wasserspiegels? „Es gibt immer weniger Niederschläge. Uns wird das Wasser knapp“, sagt der 65-jährige Wissenschaftler.

Die Stadt Tscholponata liegt auf 1.700 Höhenmetern, etwa in der Hälfte des Issyk-Kul-Nordufers. Bis zur Westspitze gibt es gut 10 Zuflüsse, Wasser führt derzeit keiner. „Das konnte man überhaupt nicht als Ernte bezeichnen dieses Jahr“, sagt der Agrotechniker Sirtbai Arükbajew. Ausgeklügelte Bewässerungssysteme sorgen hier normalerweise dafür, dass es in der sommers warmen, fruchtbaren Hochebene üppig wächst. Arükbajew: „Dieses Jahr war aber schon wieder ziemlich trocken.“

„Kein Fleck der Erde ist so weit vom Meer entfernt wie Zentralasien“, erklärt der ergraute Wissenschaftler Romanowski. Wetterbestimmend sei aber nun einmal der Wasserkreislauf, und der sei wegen der gigantischen Bewässerungsprojekte aus dem Takt geraten. Um größter Baumwollexporteur der Welt zu werden, gruben die Sowjets 700.000 Kilometer Bewässerungskanäle in die Steppen Kasachstans und Usbekistans – und damit den mächtigsten Flüssen der Region, dem Syr-Daria und dem Amu-Daria, das Wasser ab. Die Folge: Dem größten Meer der Region – dem Aralsee – ging der Wassernachschub verloren, seine Fläche schrumpfte auf ein Viertel zusammen.

Schätzungsweise 20 Millionen Menschen leben heute an den Flüssen, die den Tientschan in nördliche Richtung verlassen. 20 Millionen Menschen, deren Arbeits- und Lebensgrundlage ein funktionierender Wasserkreislauf und intakte Gletscher bilden. Was ist, wenn Wladimir Romanowski recht hat? Die Forschungsergebnisse seines Teams beruhen auf den Daten von 23 Messstationen, die sein Institut rund um den 1.600 Meter hoch gelegenen Issyk-Kul im Zentraltientschan betreibt. Nicht repräsentativ seien die Messungen, sagen die Kritiker.

Mit einem Bruttosozialprodukt von 380 Dollar pro Einwohner ist Kirgisien bitterarm. Für viele ist der nächste Tag eine größere Herausforderung als der Wandel des Klimas in der Zukunft. „Wir wollen doch nicht viel“, sagt Sirtbai Arükbajew, „ein warmes Haus, tägliches Brot und eine Zukunft für unsere Kinder“.