Von der schönen Peripherie

SCHREIBEN Die Nordischen Literaturtage in Hamburg leben nur vordergründig vom Länderschwerpunkt. In Wahrheit offenbaren sie die im Norden weit besseren Produktionsbedingungen von Literatur

Nordeuropas Literatur ist nicht so düster, wie die vielen Krimis suggerieren

Es ist ein Titel, so nahe liegend wie irritierend: „Nordische Literaturtage“, das klingt nach Regionalismus. Und es suggeriert, Dänen, Isländer, Norweger, Schweden und Finnen hätten eine gemeinsame, „nordische“ Identität. Aber der Länder-Schwerpunkt scheint zu funktionieren: Seit 1986 bereits veranstaltet das Hamburger Literaturhaus alle zwei Jahre ein mehrtägiges Lesefestival, eben Nordische Literaturtage.

Die Leute kommen. Anfangs wegen Peter Høegs „Fräulein Smillas Gespür für Schnee“, einen dänisch-grönländischen Kriminalroman, der en passant die Verkantungen beider Bevölkerungsgruppen ausleuchtet. Später zog der Nordeuropa-Boom an: Der Schwede Henning Mankell trat auf und löste jenen Nord-Krimi-Hype aus, der bis heute hält: Was nicht niet- und nagelfest ist, wird von deutschen Verlagen eingekauft – so penetrant, dass man glauben könnte, nordeuropäische Literatur bestehe zu 90 Prozent aus Verbrechen im Finstern.

Dabei sei die nordeuropäische Literatur gar nicht so düster, so Flora Fink, Kuratorin der diesjährigen Literaturtage. Dass sich das Klischee trotzdem halte, habe politische Gründe, sagt die Skandinavistin und Übersetzerin. In Deutschland würden eben vor allem skandinavische Krimis verlegt, weil sie sich gut verkaufen.

Vor anspruchsvolleren Titeln schreckten die hiesigen Verlage dagegen oft zurück. „Das ist in Nordeuropa anders“, sagt Fink, „und hier liegt die eigentliche Gemeinsamkeit der nordeuropäischen Länder: in den Rahmenbedingungen für Literaturproduktion.“

Sehr großzügig nämlich förderten diese Länder nicht nur junge Autoren mit teils mehrjährigen Arbeitsstipendien. Auch renommierte Schreiber – etwa die Dänin Helle Helle, die jetzt nach Hamburg kommt – bekommen, wenn sie einige relevante Werke veröffentlicht haben, ein lebenslanges staatliches Gehalt.

Zudem seien öffentliche Bibliotheken etwa in Norwegen verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz aller Neuerscheinungen aufzukaufen. Das helfe, sagt Fink: „Denn wenn die Verlage wissen, dass ihnen 800 Exemplare sicher abgenommen werden, verlegen sie eher mal ein anspruchsvolleres Buch.“

Tatsächlich gibt es sehr viele öffentliche Bibliotheken in Nordeuropa, und auch dies hat politische Gründe. So sucht etwa die norwegische Regierung die Menschen gezielt auch in der Peripherie zu halten, damit diese Gegenden nicht veröden. Folglich steht noch am entlegensten Fjord – eine Bibliothek. Der traditionell stark von der linksgerichteten Arbeiterpartei geprägte Staat praktiziert also eine Art Volksbildungs-Idee, mit der er gut fährt. „Auch kompliziertere Literatur verkauft sich dort blendend“, sagt Flora Fink.

In Deutschland dagegen versuchten die Verlage es oft gar nicht erst. Da seien eben Krimis gefragt – die Fink bewusst nicht ins Programm der kommenden Literaturtage hineingenommen hat. Einerseits wolle sie nicht ins Klischee tappen, sagt sie. Andererseits möchte sie den weiten Horizont nordeuropäischer Autoren zeigen, die literarisch längst nicht mehr zur Peripherie zählen.

„Schweden und die Welt“ heißt ein Segment, das unter anderem Aris Fioretos vorstellt, der über einen in Schweden lebenden griechischen Migranten schreibt. Eine weniger auffällige Migrantin: Susanna Alakoski, die aus Finnland nach Schweden einwanderte. Sie schreibt über verarmte Landsleute am Rande der schwedischen Gesellschaft.

Unauffälliger, man kann auch sagen: subtiler politisch geriert sich der Schwede Jonas Jonasson. Sein Roman über einen Hundertjährigen, der aus einem Altenheim ausbüxt, scheint zunächst bloß unterhaltsam. Dass jener Greis dann aber unversehens, naiv und teils als Täter in die Geschichte des 20. Jahrhunderts gerät: Das könnte Anlass für Diskussionen über Mitläufertum und Verantwortung sein. PS

Nordische Literaturtage: ab 21. 11., Literaturhaus Hamburg