Das Dorf der Abtrünnigen

Rumohr macht Ärger. Das Dorf in Schleswig-Holstein will raus aus dem Amt Molfsee, hin zu Flintbek. Das wiederum würde Molfsee das Amt kosten, weil ihm die notwenige Einwohnerzahl fehlt. Eine Geschichte am Rande der Kreis- und Amtsreform

Schleswig-Holstein ist ein Flickenteppich aus 1.124 meist ehrenamtlich regierten Gemeinden, davon gut 900 mit weniger als 2.000 Menschen, verteilt auf elf Kreise. Dazu kommen vier kreisfreie Städte. Um Kosten zu sparen, sollen Verwaltungen auf verschiedenen Ebenen anders zusammenarbeiten. Bereits beschlossen und größtenteils umgesetzt ist die Ämterreform: Ein Amt muss mindestens 8.000 Einwohner umfassen. Noch strittig ist eine Reform der Kreise. Besonders der Kreis Dithmarschen wehrt sich gegen eine Zusammenlegung. Anfang der Woche gab es Gespräche zwischen Landesregierung und Kommunen. Auch die CDU plädiert inzwischen für Reformen. Verbunden sind mögliche neue Kreisgrenzen mit einer Funktionalreform: Dabei werden zwischen Land, Kreisen, Ämtern und Gemeinden Aufgaben neu verteilt und Doppelstrukturen abgeschafft.  EST

VON ESTHER GEISSLINGER

Sanfte Hügel, herausgeputzte ehemalige Katen, ein paar Bauernhöfe: Rumohr ist ein beschauliches Dörfchen. Und macht zurzeit mächtig Ärger: Der Ort will stiften gehen – raus aus dem Amt Molfsee, hin zu Flintbek. Der bürokratische Akt ist ein Politikum, das nicht nur die Kommunalpolitiker, sondern auch den Innenminister beschäftigt.

732 Menschen leben in Rumohr, und deren Köpfe zählen. Denn in Schleswig-Holstein läuft die Frist für die Ämterreform ab. Um größere Verwaltungen zu schaffen und damit Kosten zu sparen, hatte Innenminister Ralf Stegner (SPD) angeordnet, dass es kein Amt unter 8.000 Personen geben dürfe. Um die Zielmarke zu erreichen, müssen sich Gemeinden oder kleine Ämter zusammentun – bisher geschieht das freiwillig, und der Prozess ist beinahe abgeschlossen. Wer bis Ende 2006 den Vollzug nach Kiel meldete, erhielt eine Hochzeitsprämie von 250.000 Euro. Eine Ausgabe, die sich nach Berechnungen der Landesregierung lohnt: „Die Reform zeigt schon wenige Monate nach ihrem offiziellen Start erste finanzielle Erfolge“, teilte das Innenministerium im April mit. Ämter konnten Stellen einsparen und damit Personalkosten reduzieren. Der Landesrechnungshof geht von einem Einsparvolumen von rund 200.000 Euro pro Zusammenschluss aus, das sei realistisch, so das Innenministerium.

Nach anfänglichem Murren ging es meist fix mit den Zusammenschlüssen. Selbst die Nordsee ist kein Hindernis: Die Inseln Föhr und Amrum schwammen früh auf der Vereinigungswelle mit und bilden nun eine gemeinsame Verwaltung. Nur einige wenige Ämter sperren sich noch, dazu zählt Molfsee bei Kiel. Sechs Dörfer gehören zum Amt, mit genau 8.557 Menschen. Das würde gerade eben reichen, um eigenständig zu bleiben – wäre da nicht das Rumoren der Rumohrer.

„Wir wollen zum Amt Flintbek“, sagt Bürgermeister Dieter Wistinghausen und verweist auf gewachsene Verbindungen. Flintbek hat zurzeit 7.969 Einwohner, die Hochzeit mit Rumohr würde das Amt über die 8.000er-Marke heben – allerdings bliebe dann Molfsee auf der Strecke. „Wir behindern das Verfahren nicht, wir beschleunigen es“, sagt Wistinghausen selbstbewusst. „Wir lassen uns nicht treiben, sondern entscheiden im Rahmen der Möglichkeiten selbst.“ Seine Kalkulation: Bevor das Rest-Amt Molfsee komplett auseinanderfliegt, werde es sich mit Flintbek zusammentun. Die insgesamt zehn Gemeinden brächten es auf rund 17.000 Menschen: „Das ist immer noch ein kommodes Amt.“

Bleibt Molfsee stur, „dann müssen die übrigen Gemeinden eben sehen, wie sie sich organisieren“. Die Frist läuft: Zwei Wochen bleiben noch, dann wird es eine Entscheidung von oben geben: „Entweder Zusammenschluss, oder wir wechseln“, sagt Wistinghausen. Ein weiteres Dorf könnte folgen. „Uns wird nachgesagt, wir seien verärgert über Molfsee, aber das stimmt nicht.“ Schon in den 70er Jahren hatte Rumohr mit einem Wechsel gedroht, war damals aber geblieben. Heute sieht der Dorfbürgermeister die politische Notwendigkeit: „Der Amtsvorsteher von Molfsee sagt, er habe die Herrschaft über das Verfahren. Bei den Verhandlungen sitzt inzwischen der Innenminister mit am Tisch, auch die Kommunalaufsicht hat sich schon freundlich selbst eingeladen – wo ist denn da die Herrschaft?“

Ähnlich verfahren ist der Fall Tönning: Die Kleinstadt – 5.027 Einwohner – auf der Halbinsel Eiderstedt kämpft erbittert um ihre Eigenständigkeit. Verschiedene Modelle waren im Gespräch, unter anderem, dass sich Tönning mit Friedrichstadt – knapp 3.000 Einwohner – zusammentut. Friedrichstadt ist inzwischen einen anderen Weg gegangen: Der chronisch verschuldete Ort bleibt amtsfrei, gibt aber seine Verwaltung auf, was für die Einwohner Behördengänge in das Nachbaramt Treene bedeutet. Die Gespräche mit Tönning stocken zurzeit: Das umliegende Amt Eiderstedt würde die Stadt zwar nehmen, aber Bürgermeister Frank Hass und die Stadtvertreterversammlung weigern sich noch: Anfangs bestanden sie darauf, den Verwaltungssitz zu bekommen, dabei wurde im Nachbarort gerade ein neues Amtsgebäude gebaut. Neuste Forderung: Der Hass soll weiterregieren – die Tönninger wollen ihren heutigen Bürgermeister als Verwaltungschef des neuen Amtes einsetzen. Einlassen werden sich die Rest-Eiderstedter darauf vermutlich nicht. Sie nehmen es der Stadt ohnehin übel, dass sie die Hochzeitsprämie verspielt hat: Hätte man sich vor einem Jahr geeinigt, wäre die Viertelmillion aus der Landeskasse fällig geworden.

Um diesen Punkt wird es auch bei den Gesprächen zwischen Molfsee und Flintbek gehen. Auch hier trauern die Flintbeker Gemeinden der runden Summe nach. Kommt es nun doch zum Zusammenschluss, werde das sicher mit einberechnet, meint Bürgermeister Wistinghausen.