: U-Bahn-Mitarbeiter verurteilt
Ein 17-jähriger Junge kam auf U-Bahngleisen zu Tode, weil ein Hochbahn-Mitarbeiter falsch auf einen Notruf reagierte. Die Mutter des Jungen hat sich das Leben genommen. Dem Verantwortlichen der Hochbahn bleibt ein Prozess erspart
Stille. Alle bleiben sitzen. Niemand hat verstanden, was hier vor sich gegangen ist. Der Prozess ist vorbei, ohne dass verhandelt wurde – der Angeklagte hat den Saal unbemerkt verlassen, ehe die Zuschauer Zutritt hatten. Jetzt wird er einen Strafbefehl bekommen, 5.850 Euro kostet ihn die verhängisvolle Nacht. Das ist in den Augen der meisten Zuschauer ein geringer Preis. Als sie das endlich verstanden haben, ist es mit der Ruhe im Saal des Amtsgerichtes Barmbek vorbei.
In den frühen Morgenstunden des 20. Januar ist der 17-jährige B. auf den U-Bahngleisen in Volksdorf ums Leben gekommen. Auf dem Heimweg von einer Party war er mit Freunden angetrunken auf die Gleise geklettert. Er wurde von einem Zug erfasst und getötet. Seine Mutter wollte nach diesem Verlust nicht weiterleben. Wenige Wochen später warf sie sich vor die U-Bahn – an der gleichen Stelle, an der auch ihr Sohn gestoben war.
Verantwortung trägt ein 51-jähriger Fahrdienstleiter, der in dieser Nacht die Strecke der U1 überwachte. Er hatte einen Notruf bekommen, dass sich Jugendliche auf den Gleisen befinden. Laut der internen Anweisung der Hochbahn hätte er umgehend alle Zugführer auf der Linie informieren und Schrittgeschwindigkeit anordnen müssen. Doch das hat er nicht getan. Dadurch hat er sich der fahrlässigen Tötung schuldig gemacht – den Vorwurf hat er mit dem Strafbefehl akzeptiert.
Juristisch gesehen, ist die Sache korrekt. Bei leichteren Delikten kann die Staatsanwaltschaft ohne mündliche Verhandlung einen Strafbefehl zustellen. Aber das Juristische ist eine begrenzte Sicht in Fällen, in denen es um den Tod von Menschen geht. Hier wurde das Ergebnis ausgehandelt, während die Öffentlichkeit vor verschlossener Tür auf die Verhandlung wartete. Die Angehörigen des Jungen und seiner Mutter wollten dem Mann in die Augen sehen, der für ihr Schicksal Verantwortung trägt, und es wurde ihnen verwehrt. Sie wollten erfahren, was genau sich in jener Nacht abgespielt hat. Die Zeugen aber, die darüber hätten berichten können, wurden unverrichteter Dinge nach Hause geschickt. Verloren bleiben die Angehörigen vor dem Saal stehen, ausgesperrt nicht nur aus dem Prozess, sondern aus der ganzen Geschichte. „Auch die Hochbahn“, sagt die Tante des getöteten Jungen, „ hat noch kein Wort des Bedauerns an uns gerichtet.“ ELKE SPANNER