BERLINER PLATTEN
: Liedermacherwaren von gestandenen Existenzialisten und Aushilfsbauarbeitern: Wenzel und Ben Hamilton haben neue Songs

Mit solch abgesicherter Hochkunst bekommen wir es gewöhnlich hier selten zu tun. Aber „Glaubt nie, was ich singe“, das neue Album von Wenzel, vermeldet dessen Plattenfirma, hat eben den Preis der deutschen Schallplattenkritik erhalten. Und auch die aktuelle Liederbestenliste, die der Verein deutschsprachige Musik e. V. herausgibt, führt Wenzel an. Dort hat besonders „Tausend Tode“ gefallen, eine für den Sänger typische Moritat, die gipfelt in der völlig unironischen gemeinten Klimax: „Es ist ein Wunder, dass ich noch am Leben bin“. Tatsächlich: Hans-Eckardt Wenzel gefällt sich auch mit 52 Jahren noch in der Pose des ewigen Existenzialisten, der jede Lebenssekunde auskosten muss zwischen Wein, Weib und Gesang, denn „groß ist das Verderben / Du bist nicht bei mir“. Ansonsten benutzt Wenzel wieder voller Überzeugung altmodische Wörter wie dünkt oder bangen, durchschreitet alle verfügbaren Täler der Melancholie, trinkt öfter mal einen über den Durst und hat keine Angst vor Sehnsucht und sonstigen kitschverdächtigen Gefühlen. Auch politisch wird Wenzel wieder, diesmal im „Globalisierungstango“, und macht das frei flottierende Kapital als Bösewicht aus: „Ja, wer reich ist und satt / Der ist so gerne ein Demokrat“. Keine allzu neue Erkenntnis, aber so viele Wahrheiten gibt es wohl nicht, als dass man sich als Liedermacher nicht mitunter wiederholen müsste.

Musikalisch umgesetzt wird die Wenzel’sche Poesie gewohnt gemächlich, vornehmlich akustisch, mit viel Wehmut und Anklängen an osteuropäische Folklore, ein paar Streichern und dem unvermeidlichen Akkordeon von Tobias Morgenstern. Nur selten bricht seine Band mal aus dem in den letzten Jahren erfolgreich abgesteckten Kosmos aus: „Verlorener Tag“ beginnt und endet mit forschem Gitarrenrock, „Betrunkenes Liebeslied“ leistet sich eine vorsichtig verzerrte Gitarre. Auch das funktioniert, hätte aber auch nicht unbedingt sein müssen – nicht dass die Jury der deutschen Schallplattenkritik noch verwirrt wird.

Der Liedermacher heißt im englischsprachigen Sprachraum Singer/Songwriter. Das klingt irgendwie besser, und deshalb wollen wir Ben Hamilton, auch wenn er schon seit elf Jahren in Berlin lebt, mal so bezeichnen. Sein nahezu im Alleingang eingespieltes Debütalbum aus dem vergangenen Jahr kontrastierte die weiche, immer etwas belegt klingende Stimme des Aushilfsbauarbeiters Hamilton noch gelegentlich mit elektronischen Beats. Auf dem Nachfolger „Bull in a China Shop“ dagegen übernimmt nun seine nach einer Tour im Vorprogramm von Fury in the Slaughterhouse gut geölte Band. Das klingt satt und souverän, schaukelt gemütlich im mittelschnellen Tempo, rockt auch mal ein wenig, aber hat nur noch Reste des zerbrechlichen Charmes des ersten Albums gerettet. Was schade ist, denn sicherlich ist Ben Hamilton ein guter Songschreiber, auch ein versierter Sänger, mag sich als Zweimetermann auch gern mal wie der titelgebende Elefant im Porzellanladen fühlen, aber „Bull in a China Shop“ ist leider nur ein Singer/Songwriter-Album unter vielen. THOMAS WINKLER

Wenzel: „Glaubt nie, was ich singe“ (Conträr/Indigo). Record Release am 9. 11. im Kesselhaus

Ben Hamilton: „Bull in a China Shop“ (Labels/EMI)