: Zweifel an der Heimat
Seyran Ateș‘ neues Buch „Der Multikulti-Irrtum“ macht viele gute Vorschläge, wie Integration in Deutschland besser gelingen kann
VON KATAJUN AMIRPUR
Der Titel von Seyran Ateș‘ neuem Buch weckt unangenehme Assoziationen: „Der Multikulti-Irrtum“. Es muss an Ralph Giordanos Ausfällen gegenüber den, wie er sie nennt, „professionellen Multikulti-Illusionisten“ und „xenophilen Anwälten aus der linksliberalen Ecke“ gelegen haben, dass man Ateș‘ Buch erst einmal mit etwas spitzen Fingern angefasst hat. Oder an all denen, die nun dauernd „bürgerkriegsähnliche Zustände“, wenn es um den Islam in Deutschland geht. Diese Hysterie nervt. Zwar dürfen die Probleme nicht unter den Teppich gekehrt werden– wie es jahrelang geschehen ist. Aber andererseits: Die multikulturelle Gesellschaft ist eine Realität.
Doch das Buch ist keineswegs so, wie es der Titel suggeriert. Statt mit Diffamierungen und Pauschalisierungen wartet Ateș mit einem ganzen Katalog an praktischen Vorschlägen dafür auf, wie man bestehende Missstände bekämpfen kann. Missstände wie Ehrenmorde, Zwangsverheiratungen oder häusliche Gewalt, die keiner leugnen kann. Ateș hat als Anwältin viele betroffene Frauen vertreten. Was sie vorschlägt – etwa einen eigenen Strafbestand Zwangsheirat zu schaffen – ist gut, sinnvoll und praktikabel.
Ateș schreibt zu Recht, dass es eine Scheindebatte sei, wenn darauf hingewiesen werde, dass arrangierte Ehen nicht gleichzusetzen sind mit Zwangsehen. Denn ab welchem Punkt kann man schon sagen, wann eine Ehe „nur“ arrangiert wurde und ab wann Zwang ausgeübt wurde.
Ateș geht auch hart mit der deutschen Politik ins Gericht: Die früher praktizierte Bildung von Ausländerklassen beispielsweise. Ein Schritt, der bestimmt nicht zur Integration beigetragen hat, da er bestehende Sprachprobleme der Migrantenkinder zementiert hat. Zudem sagt sie klipp und klar: der Vorwurf an die erste Generation, sich nicht integriert zu haben, ist ungerecht. Schließlich wurde auch von deutscher Seite lange kein Versuch unternommen wurden, diese Generation zu integrieren. Für beide Seiten stand damals fest: Türken sind Gastarbeiter. Einseitige Schuldzuweisungen erübrigen sich.
Manchmal schießt sie vielleicht etwas über das Ziel hinaus: „Nach meinem Dafürhalten sind die meisten Deutschländer“, wie Ateș Menschen mit Migrationshintergrund nennt, „nicht integriert, mich eingeschlossen.“ Und bekennt, dass sie hohe Ansprüche an Integration stelle.
Anders und durchaus einleuchtend geht Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, an die Sache heran. In seiner Untersuchung „Muslime im säkularen Rechtsstaat“ schreibt er: „Eine aktive Abwehrhaltung gegenüber dem säkularen Staat ist in Deutschland jedoch offenbar Sache einer radikalen Minderheit unter den Muslimen. Die Mehrheit hingegen scheint sich mit den bestehenden Verhältnissen mehr oder weniger arrangiert zu haben.“
Apropos Deutschländer. Es fällt schwer, sich mit dem Begriff anzufreunden. Ebenso Urdeutsche. Zwar klingt Deutscher mit Migrationshintergrund äußerst sperrig. Aber Deutschländer klingt noch befremdlicher.
Haarig wird es, wenn es bei Ateș um den Koran geht. So stellt sie fest, dass der Koran Zwangsehen zwar nicht unterstützt, aber einen Zwang zur Heirat kennt. Unterstützt der Koran also indirekt die Zwangsehe? Doch so einfach ist es nicht. Natürlich anerkennt der Koran nur die Ehe und verurteilt die außereheliche Beziehung. Was soll man von einem Buch, das aus dem siebten Jahrhundert stammt, anderes erwarten? Nicht mal im Deutschland von heute ist unter Urdeutschen die „wilde Ehe“ unbedingt anerkannt.
Aber es ist eben auch egal, was der Koran dazu sagt, und hier sollte Ateș sich selbst viel treuer sein: Man kann den Koran nicht zu allem und jedem befragen, weil er auf viele Fragen überhaupt keine Antwort geben kann. Und deshalb sollte auch Ateș es auch nicht tun. Fakt ist: Zwangsheiraten verstoßen gegen die Würde des Menschen und deshalb gehören sie verboten. Und wer unbedingt nach einem Argument, einem islamischen sucht, um das Verbot der Zwangsehe auch islamisch zu begründen (man kann nicht leugnen, dass diese Argumentation oft wirkungsvoller und daher notwendig ist), der soll eben auf diese Menschenwürde verweisen. Also: Wenn diese oder jene Bestimmung des heiligen Textes gegen die Menschenwürde verstößt, dann müssen wir eben nach neuen Deutungen des Textes suchen, die nicht gegen die Menschenwürde verstoßen.
Erstaunlich ist, dass in allen Büchern, die von Menschen mit Migrationshintergrund zu dem Thema geschrieben werden, der Topos auftaucht: Sie nehmen uns nicht ab, dass das hier unsere Heimat ist. Zuletzt in dem Buch „Mein Job, meine Sprache, mein Land. Wie Integration gelingt“ von Omid Nouripour. Eine Erfahrung, die sicher viele nur bestätigen können. Wäre es anders, könnte vielleicht auch Seyran Ateș auf das merkwürdige Wort „Deutschländer“ verzichten. Dann wären sie, Omid Nouripour und viele andere Migranten nämlich einfach Deutsche.
Seyran Ateș: „Der Multikulti-Irrtum. Wie wir in Deutschland besser zusammenleben können“. Ullstein Verlag, Berlin 2007, 282 Seiten, 18,90 Euro