: Den Draht zum Leser verloren
betr.: „Noch sind alle schimmerlos“, taz vom 2. 11. 07
Der Artikel zur Lage der Münchener Abendzeitung krankt an seinem schlichten Schwarzweißschema: Der Schurke, Chefredakteur Michael Radtke, hat den Niedergang der Verkaufs- und Abozahlen zu verantworten, der Gute, sein Stellvertreter Torsten Fricke, „reicht seine Kündigung ein“, weil er alles besser machen wollte und nicht durfte.
Tatsache ist: Fricke eignet sich ganz bestimmt nicht zum Helden in dieser Geschichte. Es spricht Bände, dass er jetzt einen Job als Firmensprecher bei Premiere antritt. Er hat sich immer als Sprachrohr der Industrie und der Bundeswehr betrachtet und die AZ als verlängerten Arm der Presseabteilung von BMW. Die AZ wurde in den letzten zwei Jahren dreimal vom Deutschen Presserat wegen unzulässiger Schleichwerbung im redaktionellen Teil gerügt. Autor der beanstandeten Artikel: Torsten Fricke. Zwei der vom Presserat gerügten Beiträge handelten von BMW-Autos und BMW-Motorrädern, einer von einem Schlagbohrer „mit Porsche-Design“. Vor ein paar Monaten machte sich die Zeitschrift Titanic völlig zu Recht auf mehreren Seiten über ein Interview lustig, dass Fricke, als braver PR-Stichwortgeber, mit dem Entwicklungschef von BMW geführt hat.
Ich gehöre zu den 2.000 AZ-Abonnenten, die in den letzten zwei Jahren die Konsequenzen gezogen und gekündigt haben. Neben den allgemeinen Problemen der Tageszeitungen kam bei der AZ unter Radtkes Führung auch noch eine völlig falsche Einschätzung der Leserschaft hinzu. Man hat nicht bemerkt, dass sich die öffentliche Meinung stärker verändert hat als die veröffentlichte. Gigantomanische Großprojekte, wie der von Radtke unterstützte Bau des Transrapids zum Flughafen, werden inzwischen von einer überwiegenden Mehrheit in München ebenso abgelehnt wie die von Fricke immer wieder propagandistisch befürworteten Auslandseinsätze der Bundeswehr. In der AZ – und das gilt für andere Zeitungen und Zeitschriften genauso – hat man den Draht zum Leser verloren und nicht verstanden, dass es in Deutschland längst eine Wählermehrheit links von der CDU gibt. HANS PFITZINGER, München