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Archiv-Artikel

Ein betrunkenes Huhn in einem Ufo auf der Wiese

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Es gibt kein interessanteres China-Restaurant in Berlin als die Himmelspagode in Brandenburg

Berliner sind leicht geneigt, die Nase über das Umland zu rümpfen. Was sollte es dort geben, was die Stadt nicht zu bieten hat? Vielleicht Schlösser und Seen, einen defizitären Freizeitpark und Golfplätze. Aber auf all das kann der Städter gerne verzichten. Die Berliner Kellerkinder nämlich kommen ohne Natur zurecht und wenn es sein muss, auch ohne Kultur oder Sport. Worauf der Berliner aber nicht verzichten kann, das ist die Gastronomie. Deswegen bemitleidet er all die armen Seelen, die nicht in einer so formidablen Stadt wie er leben und damit auf das besondere Restauranterlebnis verzichten müssen. Seit etwa fünf Jahren aber wird der Berliner lauthals von ganz Hohen Neuendorf ausgelacht. Das abgefahrenste Chinarestaurant steht nämlich dort; außerhalb der Stadtgrenze. Wie ein soeben auf der grünen Wiese gelandetes Ufo sieht die Himmelspagode von weitem aus. Ein runder, riesiger Bau in traditionell chinesischer Optik vor einem Parkplatz und einem frisch angelegten Teich: Das erinnert irgendwie an Kanada, an die chinesisch geprägten Vorstädte in jenem Land, das noch viel weiter ist als Brandenburg. Im Innern angekommen, wird man an sein erstes Chinarestaurant denken. Das sah sicher aus wie alle anderen: rot lackiertes Holz mit Schnitzereien, polierte Messingsäulen, Zierspiegel und weiß gedeckte Tische. Die Pagode ist diesem Einrichtungsstil treu. Darüber hinaus beeindruckt sie mit einem riesigen Koi-Becken, viel Marmor und einem mehrstöckigen Kronleuchter. Wenn es dunkel wird, leuchten viele kleine Löwenlampen vor den Fenstern auf. Niedlich. Chinesen im Seidenhemd rollen Wagen mit Köstlichkeiten vorbei. Über dem ganzen Einrichtungspomp aber hat man das Essen wahrscheinlich sowieso schon vergessen. Die Dim Sums, kleine Gerichte im Bambuskörbchen gedünstet, wärmen den Gaumen und das Herz. Sie werden mit Sojasauce und Stäbchen geliefert. Beim Hauptgang verzichtet das Restaurant darauf, jetzt wird mit Besteck gegessen. Das Fastenschwein, Schweinefleisch mit Paprika, Chinakohl, Zwiebeln und Austernsauce schmeckt hervorragend. Leichter als das kross gebackene betrunkene Huhn mit Erdnüssen und Süß-Sauer-Sauce ist es allemal. Das lässt sich wirklich am besten im verkaterten, nach Fett dürstenden Zustand genießen. Am Ende steht im Glückskeks eine Mahnung: Sprechen Sie eine deutliche Sprache, sonst werden Sie missverstanden. Also: Es gibt bessere China-Restaurants als die Himmelspagode, aber interessantere, die gibt es selbst in Berlin nicht.

RESTAURANT HIMMELSPAGODE, Oranienburger Straße 3, 16540 Hohen Neuendorf, Tel. 0 33 03/21 27-0, Mo.–So. 11.30–23.30 Uhr, www.himmels-pagode.de, S-Bahnhof Hohen Neuendorf, Dim Sum ab 3 Euro, alle Hauptgerichte ab 7,20 Euro