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Archiv-Artikel

„Das Herz ist noch das alte“

Im miefigen Westdeutschland hat Christian „Flake“ Lorenz heute mit Rammstein Erfolg. Lustiger findet er die Erinnerung an Ostpunk, Feeling B und die Gemüse-Stasi. Dazu gibt es jetzt Buch und CD

ZUR BAND

Zehn Jahre brauchten Feeling B, um die prototypische Geschichte einer Punkband in der DDR und zu Wendezeiten zu leben. 1983 rekrutierte Alexander „Aljoscha“ Rompe, ebenso legendärer wie hyperaktiver Macher in der Außenseiterszene in Prenzlauer Berg, die wesentlich jüngeren Paul Landers (Gitarre) und Christian „Flake“ Lorenz (Tasteninstrumente). Mit großem Dilettantismus entstand aus Gitarrenriffs der Dead Kennedys, an die NdW gemahnenden Piep-Sounds und dem meckernden Nichtgesang von Rompe eine aufrührerische Mischung. Dank der Kontakte des Kommunikationsmonsters Rompe gehörten Feeling B zu den wenigen Undergound-Bands, die kurz vor dem Ende der DDR noch bei der staatlichen Plattenfirma Amiga aufnehmen durften.

Nach der Wende, plötzlich seines Publikums und seiner Bedeutung beraubt, versuchte man an die eben entstandene Mittelalterszene anzudocken und scheiterte. 1993 löste sich die Band auf, Lorenz und Landers machten mit Rammstein eine Weltkarriere. 2000 starb Rompe; Lorenz, nun 40 Jahre alt und Vater, hat nun alte, zum großen Teil bislang unveröffentlichte Aufnahmen von Feeling B neu abgemischt und veröffentlicht: Auf „grün & blau“ ist der Dada-Punk der Band erstmals in erträglicher Klangqualität zu hören. Noch interessanter ist das dazugehörige Buch: Auf 160 Seiten findet sich Lorenz’ Stasi-Akte: „Die Auftritte der Gruppen waren dazu geeignet, beim Publikum eine sozialismusfremde Lebensweise zu entwickeln bzw. zu verfestigen.“ Daneben viele Anekdoten. „Wer geht schon gerne auf den Friedhof? Es sei denn, man ist in froher Hoffnung und sucht einen Namen für sein Kind.“

CD + Buch: Feeling B, „grün & blau“ (MotorMusic/Edel), 20,99 Euro

INTERVIEW THOMAS WINKLER

taz: Herr Lorenz, Sie haben beide Extreme überlebt: Feeling B war eine Underground-Band, die ursprünglich nicht einmal Hoffnung haben durfte, überhaupt nur eine Platte aufzunehmen. Und mit Rammstein genießen Sie weltweiten Erfolg. Was macht mehr Spaß?

Christian „Flake“ Lorenz: Ersteres. Mit Feeling B war es viel lustiger. Diese Bedeutung, die Feeling B im Osten hatte, die hat Rammstein nicht: Als Identifikationspunkt in einer vermeintlichen Opposition. Feeling B war eine Ostband, die Punk gemacht hat – das war von der Sache her schon größer. Außerdem war ich jung und alles war aufregend.

Sehr jung sogar, 16 bei der Gründung von Feeling B. Aljoscha Rompe dagegen, Sänger und treibende Kraft, war fast zwanzig Jahre älter als Sie und Gitarrist Paul Landers.

Aljoscha war wie eine Vaterfigur für mich. Aber Paul und ich konnten Aljoschas Vorstellung, er sei jetzt ein Sänger, umsetzen. Wir waren sehr belastbar. Viele wären einfach gegangen, denn seine Art war schon sehr speziell. Schon sein Getrinke – er konnte oft nicht auftreten, Konzerte sind ausgefallen, er war unpünktlich und völlig ignorant in jeglicher Hinsicht. Ihm war total egal, ob jemand irgendwo warten musste oder Ärger bekam, er hat sein Ding gemacht. Sehr egoistisch eigentlich. Aljoscha war ein Exot.

Kann man sagen: In der DDR war solch ein Verhalten noch Ausdruck einer privaten Revolte, nach der Wende dann aber unprofessionell?

Deswegen blieb Aljoscha ja auch in Ostberlin, obwohl er im Westen hätte leben können mit seinem Schweizer Pass. Er wird schon gewusst haben, wieso. Uns war es egal, wir kannten ihn ja und wir hatten ja nichts anderes. Wenn man jugendlich ist und Musik machen will, dann denkt man nicht an die Zukunft, nicht an später. Man denkt, man ist unsterblich. Außerdem hatte man im Osten als Band auch eine gesellschaftlich größere Akzeptanz als jetzt. Da war jemand, der Punkmusik machte, noch was Besonderes.

Vor allem, wenn man von der Stasi überwacht wurde.

Man wollte schon ernst genommen werden von der Stasi. Das war wichtig, wenn man in einer Band gespielt hat.

Sie drucken im Buch Ihre Stasiakte ab. Die ist mit sechs Seiten überraschend dünn. Was haben Sie weggelassen?

Nein, die ist schon so gut wie komplett abgedruckt. Meine Akte wurde 1986 schon geschlossen und nicht wieder eröffnet. Vielleicht gibt es eine zweite Akte, weil die mit Flake und Christian Lorenz durcheinandergekommen sind. Eine andere Erklärung ist, dass wir beschützt wurden, weil so viele im engsten Bekanntenkreis selber bei der Stasi waren. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ich durchs Netz gefallen bin.

Wie wirkte sich die Überwachung aus?

Keine Ahnung, ich habe davon nichts mitgekriegt. Ich dachte, die können sich ja nicht um jeden kümmern. Dass es so infiltriert war, das habe ich erst zur Wende erfahren. Hätte ich mir auch nicht träumen lassen. Es gab ja die, wie wir sie nannten, Gemüse-Stasi. Die mit den Handgelenktäschchen, denen man es sofort angesehen hat. Und wenn die nicht dabei waren, fühlte man sich auch unbeobachtet. Ich hätte nie gedacht, dass die Stasi in den Bands selber saß. Im Nachhinein finde ich das ziemlich lustig. Und eigentlich habe ich auch nicht erwartet, überwacht zu werden. Ich war ja nicht kriminell, ich habe nichts Staatsfeindliches gemacht.

Das sah die Stasi aber anders.

Aber Feeling B war eigentlich als Band nicht staatsfeindlich. Wir waren einfach nur eine lustige Faxenband. Was provokativ war, waren die Konzerte, zu denen 100 Punks kamen, einen Aschenbecher umkippten, Pogo tanzten und die Bierflaschen liegen ließen. Die Texte waren sehr zahm und simpel, sonst hätten wir auch keine Einstufung gekriegt.

Diese Einstufung war damals in der DDR nötig, um auftreten zu dürfen. Stimmt es, dass Aljoscha zum Vorspielen mitunter Profimusiker engagierte, um die Kommission zu täuschen?

Wir hatten mal Gäste, das stimmt. Die sollten uns unterstützen, aber wir selber waren schon mit dabei. Aber das war nur ein einziges Mal und man musste die Einstufung ja alle zwei Jahre wieder machen. Wir haben immer ein spezielles Programm für die Einstufung eingeübt, haben uns ordentlich angezogen und Titel so gespielt, wie wir sie sonst nicht spielten. Und wir haben extra Titel für die Einstufung komponiert, in denen es um Sonnenaufgänge und ähnlich optimistisches Zeug ging. Wir waren nüchtern und haben uns Mühe gegeben, einen guten Eindruck zu hinterlassen.

Ansonsten zeichnete Feeling B, wie Sie schreiben, eher eine „verzweifelte Energie“ aus.

Aber trotz des Käfigs aus Umständen, in dem wir uns abgestrampelt haben, hatte unsere Musik eine Unbeschwertheit, weil wir einfach so Musik machten, ohne einen Plan. Eine DDR-Band, die denkt, sie ist das Licht der Welt. Wenn man die Musik einem Westler vorspielen würde, würde der denken: Was soll das?

Warum dann die alten Songs neu gemischt veröffentlichen?

Eigentlich nur für die Leute, die uns kannten. Ursprünglich war mein Plan, Feeling B gut hörbar zu machen, denn die alten Aufnahmen klangen schrapelig und schrill, aber trotzdem dünn und kraftlos. Eigentlich wollte ich nur eine Best of machen, aber dann sind mir die unveröffentlichten Titel reingerutscht. So ist eine Platte rausgekommen, wie ich sie eigentlich hasse, so ein Durcheinander wie schon die alten Platten von Feeling B. Aber ich wollte sagen können: Jetzt ist alles raus, ich hab die Sache zu Ende gebracht. Ob das eine gute Idee ist, weiß ich nicht.

Ist das nun der Sound, wie Feeling B damals wirklich klangen?

Um das gleich mal klarzustellen: Dazugespielt ist nichts. Dass da keiner denkt, ich saue auf alten Sachen rum. Aber die einzelnen Spuren sind technisch aufgewertet worden. Das Herz ist noch das alte, aber der Sound ist der, wie wir damals gerne geklungen hätten. Ein Laie wird den Unterschied gar nicht merken, weil wir vor allem an den kleinen Feinheiten gearbeitet haben, die so schwer zu machen sind. Das ist ein bisschen wie beim Schminken: Eine Frau ist eine Stunde im Bad, damit es natürlich aussieht.

Warum waren Feeling B nach der Wende nicht wandlungsfähig?

Wir haben es versucht, aber nicht geschafft. Weil wir schon sieben Jahre stumpf unser Ding durchgezogen hatten, war es vielleicht zu schwierig, auf Westler umzuschalten.

Ihnen scheint das mit Rammstein aber gut gelungen zu sein.

Emotional bin ich immer noch nicht angekommen im Westen. Das wird noch Jahre dauern, oder ich werde noch als Opa rummeckern: Was is’n das hier, acht Sorten Joghurt, ist doch ekelhaft, wer braucht die Scheiße. Ich fand die BRD schon immer doof. Amerika war geil, England war geil, aber die BRD war eklig. Westdeutschland, das war so miefig, wirklich das Allerletzte.

Wie haben Sie von Aljoschas Tod erfahren?

Ich war an der Ostsee und habe einen Anruf bekommen. Paul hat dann gesagt: Wir müssen alle mal sterben. Na toll, hab ich gesagt, und dann sind wir Schnaps trinken gegangen.