: Kein Konzept gegen Gewalt
Turbulente Debatte über wachsende Jugendkriminalität in der Hamburger Bürgerschaft. Rot-Grün wirft CDU komplettes Versagen vor, die kontert mit dem Vorwurf der Kuschelpädagogik
VON SVEN-MICHAEL VEIT
Bei der Bekämpfung der Jugendkriminalität habe der Senat in Hamburg „komplett versagt“, erklärte der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel gestern in der Aktuellen Stunde der Bürgerschaft. Nach sechs Jahren CDU-geführter Regierungen habe sich die Zahl der Delikte in der Straßenkriminalität von 762 auf 3.058 vervierfacht: „Mehr Gewalt, mehr Opfer – sonst haben Sie nichts zu Stande gebracht“, sagte Dressel direkt an den parteilosen Innensenator Udo Nagel gewandt.
Nagel hatte am Dienstag gemeinsam mit drei SenatskollegInnen ein mit heißer Nadel gestricktes „Handlungskonzept gegen Jugendkriminalität“ präsentiert. Grund war ein nächtlicher Überfall am Wochenende in der Nähe der Reeperbahn, bei dem zwei Jugendliche von vier jungen Männern zusammengeschlagen und mit Messern und Bierflaschen schwer verletzt worden waren (taz berichtete). Dieses Konzept knapp vier Monate vor Ende der Legislaturperiode vorzulegen, sei ein „peinliches Eingeständnis des Scheiterns“, konstatierte Dressel.
Der so gescholtene Nagel konterte in der eineinhalbstündigen und phasenweise turbulenten Debatte mit dem Vorwurf, dass die roten und grünen „Brandstifter scheinheilig Feuer rufen“. Hamburg, zum Ende des rot-grünen Senats 2001 angeblich noch Hauptstadt des Verbrechens, weise inzwischen die „geringste Kriminalitätsrate seit 23 Jahren auf“, sagte Nagel. Aber die Opposition wolle, assistierte CDU-Innenpolitiker Manfred Jäger, „unsere Erfolge schlecht reden“.
Keineswegs, entgegneten die grüne Innenpolitikerin Antje Möller ebenso wie Dressel und dessen Fraktionskollegin Gesine Dräger. Aber bei der Bekämpfung der Ursachen für Kriminalität seien seit sechs Jahren keine Fortschritte zu erkennen. Defizite bei der Integration und Bildung seien gravierender als zuvor. Gerade unter Kindern und Jugendlichen wüchsen die Armut und Perspektivlosigkeit.
Die Senatspolitik habe „die soziale Spaltung in der Stadt noch gefördert“, erklärte Dressel: „Damit gefährden Sie auch die Innere Sicherheit in Hamburg.“ Was für die SPD 2001 das Sicherheitsproblem Hauptbahnhof gewesen sei, werde für den Senat und die CDU der Kiez – trotz Videoüberwachung. Den Opfern einer Messerstecherei nütze es nichts, „dass die Zahl der Versicherungsbetrügereien abgenommen hat“.
In Hamburg müsse endlich das Tragen von Waffen verboten werden, forderte Möller. Ein entsprechendes Gesetz sei bislang daran gescheitert, „dass CDU und Senat vor der Waffenlobby eingeknickt sind“.
Der Vorwurf der „Brandstiftung“ entspreche dem „Niveau des Herren, der Sie vor fünf Jahren als Polizeipräsident nach Hamburg geholt hat: Ronald Barnabas Schill“, warf Dräger Nagel vor. Zudem sei des Senators Behauptung, Jugendkriminalität „eignet sich nicht als Wahlkampfthema“, unsinnig: „Womit haben CDU und Schill denn zwei Mal Wahlkampf gemacht?“
Dass die Union bei der im Februar 2008 anstehenden Bürgerschaftswahl diesen erneuten Versuch scheuen sollte, bewiesen Jäger und sein Fraktionskollege Klaus-Peter Hesse, beide Mitglieder des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) Feuerbergstraße. Rot-Grün sei seinerzeit „nie konsequent gegen Jugendgewalt vorgegangen“, erklärte Jäger, „weil Sie Kuschelpädagogik und Menschen statt Mauern wollen“. Und Hesse versicherte, auch die Ruhigstellung von Jugendlichen im Geschlossenen Heim Feuerbergstraße mit Psychopharmaka sei eine sinnvolle Maßnahme.
„Damit“, so kopfschüttelnd das grüne PUA-Mitglied Christiane Blömeke an Hesse, „haben Sie sich endgültig disqualifiziert“.