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Archiv-Artikel

Verdienstausfall für Zuhälter

Die Grenzen zur Zwangsprostitution sind oft fließend: Auf einer Tagung berieten Fachleute über die Situation der Opfer von Frauenhandel in Bremen – und übten harte Kritik an der Justiz

von Christian Jakob

Immer mehr Frauen aus den neuen EU-Ländern werden zur Zwangsprostitution nach Bremen gebracht. Doch der Umgang der Bremischen Justiz mit den Tätern sei „ein Schlag ins Gesicht für Opfer, Beratungsstellen und Ermittlungsbeamte“. Das sagte Petra Wulf-Lengner von der Beratungsstelle für Zwangsprostitution (BBMEeZ) am Mittwoch auf einer Fachtagung in der Martin Luther Gemeinde.

Bis zu drei Jahren dauere es, bis ein Verfahren wegen „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“, so der juristische Straftatbestand, eröffnet werde. Viel schlimmer jedoch sei das in Bremen äußerst niedrige Strafmaß: „Entweder gehen die Täter mit Geld- oder Bewährungsstrafen aus dem Gericht – oder sie werden freigesprochen.“ Eine Haftstrafe sei in dem Bereich ihres Wissens noch nie verhängt worden. Üblich sei dies nicht: „In anderen Bundesländern ist das Strafmaß höher, die Verfahren werden schneller eröffnet“, so Wulf-Lengner.

Rund 60 Personen nahmen an der vom Gesundheitsamt Bremen und der Inneren Mission ausgerichteten Tagung teil. Um die Sensibilität der Justizbehörden für das Thema zu erhöhen, hatten die Organisatoren auch die zuständigen Bremer StaatsanwältInnen und RichterInnen zu der Veranstaltung eingeladen, jedoch keine Resonanz erhalten.

Anwesende Vertreter des zuständigen Bremer Fachkommissariats bestätigten die Kritik Wulf-Lengners: „Mit welchen Konstruktionen hier Bewährungsstrafen begründet werden, ist nicht nachvollziehbar.“ Es sei skandalös, dass die lange Wartezeit bis zum Prozessbeginn zu einem juristischen Bonus für die Täter führe, obwohl dadurch die Leiden des Opfers verlängert werden, so ein Polizeibeamter.

Die Tagung fand in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer Findorffer Kneipe statt, über der nach Ansicht der Bremer Staatsanwaltschaft im Jahr 2006 zwei junge Frauen aus Litauen eingesperrt, misshandelt, vergewaltigt und über sieben Wochen zur Prostitution gezwungen wurden. Wegen kleiner Widersprüche in der letzten Aussage des geistig beeinträchtigten Opfers hatte das Amtsgericht das Verfahren gegen den Wirt der Kneipe und seine Lebensgefährtin Anfang September eingestellt.

Die Zahl der Prostituierten aus den neuen EU-Mitgliedsstaaten Bulgarien und Rumänien ist nach Angaben von Sagitta Paul vom Gesundheitsamt Bremen drastisch gestiegen. Im Vergleich zum gesamten Jahr 2006 habe sich von Januar bis Oktober 2007 die Zahl der von Paul beratenen Frauen aus diesen beiden Ländern mehr als vervierfacht. Dabei spiele sich in der bekannten Helenenstraße im Steintorviertel nur ein Bruchteil des Geschäfts ab, so Paul. Die meisten Bremer Prostituierten gingen in etwa 120 Wohnungen, die über die ganze Stadt verteilt seien, ihrer Tätigkeit nach. Aus Angst vor einer möglichen Abschiebung seien viele Frauen Beratungsstellen gegenüber oft misstrauisch, so Paul weiter.

Viele Frauen arbeiteten 12 Stunden am Tag, oft an sieben Tagen in der Woche. Durchschnittlich kassierten sie von ihren Freiern 50 Euro. Davon bleibe ihnen selbst nur wenig: Für die Wohnungen müssten sie rund 1.500 Euro im Monat zahlen, 30 Prozent der Einnahmen bekämen Zuhälter. Hinzu kämen oft „Gebühren“ für die illegale Einreise sowie die Unterstützung der Familie im Heimatland. Bei Krankheit hätten sie ihren Zuhältern „Verdienstausfall“ zu zahlen. Wegen hoher Schulden würden auch legal arbeitende Prostituierte oft auf eine Krankenversicherung verzichten.