Machos würden Burek kaufen

STREETFOOD Er ist konservativ. Er ist fettig. Und im Krieg war er der Feind. Trotzdem mögen ihn die Frauen, denn nichts kommt diesem alten Bosnier gleich

AUS SARAJEVO ERICH RATHFELDER

Es gibt in Sarajevo natürlich McDonald’s. Und Dönerbuden in der Bascarsija, der historischen, osmanisch geprägten Altstadt. Aber was ist schon ein Doppelwhopper oder ein Döner gegen Cevapi? Wer gegrilltes Fleisch essen will, besucht eines der Minirestaurants in der Altstadt. Sobald die Sonne scheint, trotzen die Sarajevoer der Winterkälte und setzen sich in den verwinkelten Gassen draußen an die kleinen, eng stehenden Tische.

Im Sommer wimmelt es hier von Touristen aus Serbien, Kroatien, Italien, Frankreich oder der Türkei. Vor allem aber kommen Bosnier, die in den 90er Jahren vor dem Krieg geflohen sind und heute im amerikanischen, kanadischen oder australischen Exil leben. Sie besuchen mit ihren englisch sprechenden Kindern die Hauptstadt ihres Heimatlandes. Sie zelebrieren es, Cevapi zu essen, die gewürzten Fleischröllchen sind der Geschmack Bosniens. Dazu genießen sie den üblichen Trinkjoghurt. Und dann mäkeln sie.

Denn die besseren Cevapi kommen immer aus dem eigenen Heimatort, wo das mindestens zweimal durch den Fleischwolf gedrehte Kalb- oder Rindfleisch mit anderen Gewürzmischungen gereicht wird. Die Gewürzmischungen sind Familiengeheimnisse. Die Zehnerportionen Cevapi sind preiswert und für 3 Euro zu erstehen.

Wer kein Fleisch mag, isst Pita. Das ist ein Teigröllchen oder ein Fladen – gefüllt mit Kartoffeln, Mangold, Spinat oder Zucchini. Es gibt auch Pita mit dem hier üblichen jungen Käse, dem in Deutschland wohl Quark oder Frischkäse in Konsistenz und Aussehen am nächsten kommt.

Wer den richtigen Pitateig machen will, braucht Übung. Für eine richtige Pita muss man Mehl, Salz und Wasser ewig lang kneten, dann den Teig ruhen lassen und schließlich über den ganzen Küchentisch ausziehen – ohne ihn einzureißen. Das ist eine Kunst. Der Verfasser dieses Textes ist dabei bisher an seiner Ungeschicklichkeit gescheitert.

Der Teig muss dünn sein, fast durchsichtig. Das Gemüse wird auf den Teig gelegt und dann wiederum mit Teig bedeckt. Oder aber zu langen Röllchen geformt, die man entweder so oder als Schnecken in den Ofen gibt. Fast ohne Fett goldbraun gebraten, wird die Pita sofort heiß oder zumindest warm gegessen. Sie schmeckt kalorienbewussten TouristInnen, sie ist aber auch bei den im Krieg verarmten Bosniern beliebt. Die Zutaten sind preiswert oder wachsen im eigenen Garten.

Herzstück des bosnischen Fastfood ist jedoch der Burek. Der wird mit dem gleichen Teig wie die Pita gemacht und je nach Region mit unterschiedlich gewürzten Hackfleisch gefüllt. Salz und Pfeffer sind immer drin, doch der Fantasie sollten beim Würzen eigentlich keine Grenzen gesetzt sein. Bosnier sind jedoch konservativ. Als der Autor dieses Textes einmal Majoran unter das Fleisch mischte, erntete er Protest und Spott. Knoblauch, fein geschnittene Zwiebeln ja, Majoran, Oregano oder so was … brrhhh.

Der Burek wird von balkanischen Männern bevorzugt. Die Pita gilt den echten Machos als Weiberzeug. „Sve su pite pitice samo burek je pitac“, frei übersetzt heißt das viel zitierte Sprichwort: „Alle Pitas sind weiblich, nur der Burek ist ein Mann.“

Das bosnische Fastfood ist im ganzen Gebiet des ehemaligen Jugoslawien verbreitet. Aber wirklich auseinanderhalten können die Menschen in den Nachbarländern die Speisen bis heute nicht. In Kroatien und Slowenien werden unter dem Namen „Burek“ auch Teigröllchen mit weißem Käse angeboten, also eigentlich Pitas. Viele Bosnier finden zudem, dass der falsche Teig genommen wird. Immerhin: Inzwischen kann man tiefgefrorenen bosnischen Burek in den Supermärkten Zagrebs und Belgrads finden.

Der Konflikt um den richtigen Burek brach während des Krieges offen aus. Als 1991 Jugoslawien auseinanderbrach und der Krieg in Slowenien begann, waren in der Hauptstadt Ljubljana Plakate mit der deutschen Aufschrift „Burek, nein danke“ zu sehen. Viele Slowenen, aber auch Kroaten wollten sich in diesen Jahren von „denen da unten“, den südlichen und einst 500 Jahre von den Türken beherrschten Republiken – dem Balkan – absetzen und sich als Mitteleuropäer definieren. Deshalb propagierten Nationalisten, Burek, Cevapi und Pita seien osmanisches Essen, die eigenen Speisen hingegen österreichisch-italienischen Ursprungs und damit höherwertig. Tatsächlich unterdrücken konnte man im Norden die im gemeinsamen Staat entstandenen Gewohnheiten nicht. Wenn heute Besucher aus Kroatien und Slowenien nach Sarajevo kommen, führt sie der Weg oft zum bosnischen Original. Es gibt den deutschen Kaffeefahrten ähnelnde Tagestouren aus dem dalmatinischen Split nach Sarajevo, nur um die Bascarsija mit ihrem Fastfood zu besuchen.

Gerade junge Leute haben für die alte Essenstradition etwas übrig. Der Burek muss fettig sein – das einhüllende Papier muss vom Fett durchsichtig werden –, wenn er richtig schmecken soll. Im Internet gibt es umfassende Diskussionen über Tradition und Moderne des Burekverzehrs. Da stehen Machos gegen Softies, Frauen diskutieren den Fettgehalt. Als eine serbische Besucherin Sarajevos twitterte, „der Burek ist zwar fett, aber gerade deswegen gesund“, brach die Debatte los. Fett gesund? Die Schlankheitsfraktion reagierte reserviert. Viele Kommentare zeigten bosnischen Witz. „Kaufe dir gerne Kleider Größe 46“, lautete eine der Antworten auf den Fett-Tweet.

Die Namen Cevapi, Pita und Burek verraten zwar den türkisch-osmanischen Ursprung, die bosnischen Produkte haben jedoch wenig zu tun mit Kebab oder Börek. Zumindest nicht mit dem, was unter diesem Namen in Istanbul oder Berlin verkauft wird. Die Pita wird zwar ähnlich zubereitet. Doch der Teig ist bei der türkischen Version anders, eine Art bröselnder Blätterteig, den viele Bosnier belächeln.

Zu Teigwaren aus anderen Ländern haben sie hier in Sarajevo ohnehin ein gespaltenes Verhältnis. Kommt das Wort für Pizza von Pita – also vom Balkan? Umstritten. Dass die Italienerin Hefe braucht, wird zur Kenntnis genommen. Und ein paar Gutwillige sagen, dass Pizza – manchmal – eine Alternative sein kann zu Burek oder Cevapi.

Die Essecke: Unsere Korrespondenten erzählen hier jeden Monat, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird. Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte, Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche