: Die Iraker nennen es Befreiungsprozess
Herrscht im Irak Krieg? Ist der ständige „Nicht-Krieg“ ein Angriff auf die bürgerlichen Freiheiten im Westen? In den Sophiensælen ging man kontrovers diesen Fragen nach
Was macht der Krieg mit unserem Denken, mit unserem Reden? Dieser Frage widmete sich eine spannende Diskussion, die sich mit den Auswirkungen der internationalen Kriege im Irak und in Afghanistan auf Debatten in den Medien und auf das analytische und beschreibende Vokabular auseinandersetzte. Sie fand am Mittwochabend in der Reihe „Spielstand No 5“ in den Sophiensælen statt.
Zunächst einmal, da waren sich alle Diskutanten von „Nicht-Kriege. Der Alltag des Ausnahmezustands“ einig, wird hierzulande die Differenz zwischen Krieg und Frieden verschliffen. Politische Entscheidungsträger und ihre medialen Adjutanten sagen ja, dass wir uns alle im globalen Krieg gegen den Terror befinden. Das erfordert Maßnahmen, nicht zuletzt gegen die Zivilgesellschaft und ihre Vorstellung von Meinungsfreiheit, Zensur oder Überwachung. Gleichzeitig lässt sich Terrorismus nicht allein als diskursives Phänomen abhandeln. Es gibt sie ja, die Terroristen.
Der Medienwissenschaftler Niels Werber suchte diesen vertrackten Zustand mit einem Begriff von Carl Schmitt zu umreißen: „Nicht-Krieg“. Der Kronjurist des Dritten Reiches beschrieb mit diesem Wort, das offensiv mit einer Ununterscheidbarkeit spielt, schon 1932 einen Post-Kriegszustand permanenter Gewaltausübung. Was aber ist mit dieser Beschreibungsformel gewonnen?
Karin Mlodoch, Aktivistin der „Arbeitsgemeinschaft für Internationale Zusammenarbeit“, lebt – mit Unterbrechungen – seit 1991 im Nordirak. Auch für sie ist die Beschreibung von Kriegszuständen zentral für die jeweiligen Kriegshandlungen und ihre moralische Bewertung, also ihre Legitimation: Sprachregelungen spielen hier eine große Rolle. Anders als in Deutschland aber gelte etwa bei den irakischen Kurden eine andere Zeitrechnung. Hier werde der Einmarsch der US-geführten Truppen 1991 und 2003 als „Befreiungsprozess“ tituliert – und zwar vor dem Hintergrund, dass man sich gemäß des eigenen Selbstverständnisses bereits seit 30 Jahren im Krieg befindet.
Mlodoch beharrte darauf, dass im Irak Krieg herrsche. Auch wenn es sich dabei definitiv um keinen Zweifrontenkrieg handele und nicht etwa „die Amerikaner“ gegen „die Iraker“ kämpften, sondern viele Akteure an vielen Fronten ihre Interessen ausföchten. Während sich im Westen erst in den letzten Jahren die Erkenntnis verbreitet habe, dass sogenannte asymmetrische Kriege oder, wie Herfried Münkler es genannt hat, die „Neuen Kriege“ mit Söldnern gegen unterschiedliche Interessensgruppen die Regel darstellten, sei dies im Irak und in Afghanistan seit Jahrzehnten der Fall. Solange man unter Krieg den brutal herbeigeführten Zusammenbruch nicht nur eines Rechtssystems, sondern eines jedweden Bezugsrahmens für einen gerechten Interessensausgleich und eine Gewalteskalation mit tausenden von Toten verstehe, herrsche hier nicht „Nicht-Krieg“, sondern Krieg.
Der Versuch, die Geschehnisse im Irak oder in Afghanistan als abnorme Kriege zu klassifizieren, ist in Mlodochs Augen vor allem ein Versuch, sich mit der Komplexität, die Krieg nun mal darstellt, nicht auseinanderzusetzen. Stur suche man nach den klaren Fronten, nach Feind und Freund. Niels Werber und Cornelia Visman wurden jedoch genauso wie das Künstlerduo Katya Sander und Ashley Hunt nicht müde zu betonen, dass die von Mlodoch beschriebenen Versuche, die Situation im Ausland mit Feind-Freund-Begriffen zu ordnen, im Westen mit der Ventilierung von Begriffen einherginge, die beharrlich einen nebulösen Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden behaupten: Irgendwie sind wir alle ein bisschen im Krieg. Das erlaube uns praktischerweise, so Werber, „wenn nötig“ auch ein bisschen zu foltern. Wer glaubt, dass man das ja nun wirklich alles schon wüsste, wurde an diesem Abend von einem ungläubigen Publikum eines Besseren belehrt.
INES KAPPERT