: L-Strahlung im großen Maßstab
FERNSEHEN Spiel mit Klischees – die Kunstklamotte „Neue Natur – Art Girls intern“ heute auf Arte
Einen ungewöhnlichen Vorgang wird es heute Abend auf Arte zu beobachten geben. Der deutsch-französische Sender zeigt mit „Neue Natur – Art Girls intern“ (23.50 Uhr) einen sonderbaren Hybrid aus Appetizer, Making-of, Mockumentary und Lektüreschlüssel zum Film „Art Girls“, der am 9. April in die Kinos kommt. Was ist da los? Warum findet ein Film im TV statt, bevor er ins Kino kommt? Wie konnte die heilige Verwurstungskette von Kino, DVD, Fernsehen und Vergessen aufgetrennt und neu arrangiert werden?
Vielleicht muss man ein paar Worte über diesen Film „Art Girls“ verlieren, den der Regisseur und Professor für Experimentalfilm an der Hamburger Hochschule für bildende Künste, Robert Bramkamp, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin, der Künstlerin Susanne Weirich, geschaffen hat.
Bramkamp entwickelt seinen Kinofilm ausgehend von einem ebenso wahren wie wahnsinnig ausgelutschten Klischee: Die Künstlerin Nikita Neufeld (Inga Busch) ist pleite, 40 und frisch verlassen.
Sie ist das Klischee der prekär dahintreibenden, marktfernen Kunstschaffenden, wie sie in Berlin endemisch sind. Gemeinsam mit ihrer Freundin Una (Megan Gay) und einer weiteren Künstlerin wir Nikita eingeladen, auf der vom Biotechunternehmen Morphocraft gesponserten Art Gate auszustellen – business as usual. Hier könnte der Film eine Soße aus „Berlin Calling“ und dem Gallery Weekend anrühren, doch Bramkamp und Weirich drehen den Film stattdessen unerwartete in Richtung Science-Fiction.
Hinter der Art Gate stehen zwei Biosynchronisationsexperten, die Zwillingsbrüder Maturana (Peter Lohmeyer als janusköpfiger Mad Scientist), welche „eine Art Superman-Funktion für einzelne Zellen“ entdeckt haben. Durch eine sogenannte L-Strahlung entsteht bei Lebewesen eine Biosynchronisation mit anderen Artgenossen, wodurch man für kurze Zeit im Kollektiv agiert, innerhalb einer „Wir-Intelligenz“. Der Zustand dieser „neuen Natur“ stellt sich bisher jedoch immer nur kurz ein.
Art Gate als Vorwand
Verkürzt zusammengefasst nutzen die Maturanas die Art Gate als Vorwand, ihre L-Strahlung im großen Maßstab zu testen. Auch, weil die Kunstrezeption auf den lädierten Peter Maturana eine heilsame Wirkung ausübt, wie in einer in den Hamburger Deichtorhallen gefilmten Sequenz (mit skurrilem Gastauftritt von Harald Falckenberg) deutlich wird.
Dabei betrachtete der seit einem missglückten Selbstversuch an den Rollstuhl gefesselte Peter Maturana Susanne Weirichs Filminstallation „Angels in Chains“, in der drei Frauen in Seifenblasen gemeinsam singen, als er plötzlich Selbstheilungskräfte bei sich registriert. „Kunst, die wirkt“, wie es im Film dazu heißt.
Mit der verstärkten Aussendung von L-Strahlung erweitert der Regisseur diese Kunstklamotte mit starken Science Fiction-Anleihen noch um das Register eines trashigen Katastrophenfilms. Einige Art-Gate-Performer entwickeln unter der erhöhten Strahlenbelastung eine „Wir-Intelligenz“ und kapern ein Baugerüst, das sich unter ihren Händen in ein lebensgroßes King-Kong-Imitat verwandelt. Selbstverständlich reißt der Berliner King Kong zielgerichtet den Fernsehturm um. Doch nicht nur diese ungewöhnliche Begebenheit wird durch die Strahlung hervorgerufen.
Nikita und Una merken bald, dass von ihren Werken eine „Kunstwirkung“ ausgeht, dass die Arbeiten Echos in der Realität haben. Beispielsweise scheint die Sonne eines Tages bläulich, ähnlich einem Element in einer Neufeld-Installation. Und auch den Auftritt von King Kong haben Zeichnung von Una (eigentlich Alexej Tchernyi „King Kongs at Berlin“) bereits vorweggenommen.
Indem die Kunstwerke den Film kapern und sie die filmischen Realität umsortieren, treibt „Art Girls“ die filmische Selbstreflexivität so weit, dass man fast schon von einer Selbst-Generativität sprechen möchte. Das könnte ein Ansatz sein, um zumindest teilweise mit den gängigen Erzählformaten zu brechen. Damit diese Möglichkeit nicht im Sande verläuft, flankieren E-Tutorials auf Arte Creative oder Screenings mit Diskussionen, etwa im Folkwang Museum oder dem ZKM Karlsruhe, den Kinofilm.
Für „Neue Natur – Art Girls intern“, der Vorab-Mockumentary von „Art Girls“, hat Bramkamp seinen Film komplett neu erzählt, aufbereitet durch zwei allwissenden Erzähler, die über den Bildschirm schweben oder wohlig als Voice-Over kommentieren.
Diese Mockumentary hilft sicherlich, den ein oder anderen roten Faden in „Art Girls“ wiederzuerkennen. Wenn man so will ist die „Neue Natur – Art Girls intern“ also der Kinofilm abzüglich der Kunstwirkungen, die sich des Films bemächtigt; dieselbe Story verständlich erzählt. Zudem betont die runterradikalisierte Arte-Version durch eine Unterlassung die eigentliche Leistung von „Art Girls“: von Kunst erzählen, ohne den Umweg über die Künstlerbiografie gehen zu müssen.
Bei Bramkamp dürfen die Werke von Susanne Weirich oder von Alexej Tchernyi auf die Erzählung wirken, statt sie nur zu illustrieren. „Die eigentliche Idee war“, unterstreicht der Regisseur, „Medienkunst vernünftig auszustellen.“ MORITZ SCHEPER