: Queere Unterwasserwelt
THEATER Inmitten biomorpher Meeresprojektionen inszeniert Stefan Pucher am Deutschen Theater William Shakespeares „Was ihr wollt“ in popgesättigten Überblendungen von Wirklichkeit und Wunschbildern
VON SIMONE KAEMPF
Verliebtsein kann so furchtbar sein – vor allem, wenn es auf so viel Geschlechts- und Identitätsverwirrung trifft wie in Shakespeares „Was ihr wollt“. Eine Frau wirbt als Mann verkleidet um eine Frau, die sofort dem Liebesboten verfällt. Der liebeskranke Auftraggeber schwankt zwischen Euphorie und schwermütigem Überdruss, wählt schließlich den Boten selbst. Kompliziertere Dreiecksgeschichten lassen sich kaum vorstellen, größere Täuschungsmanöver auch nicht. Alles nur Halluzination? Jedenfalls wenn Regisseur Stefan Pucher sich des Stoffs annimmt, ein Regisseur, der mit Bildern auf der Bühne selten spart und gern in popgesättigten Überblendungen das Verhältnis zwischen Wirklichkeit, Wunschbildern, erzählerischer Fiktion auslotet.
Diesmal greift er wieder tief in die Trickkiste. Verschmilzt Musik, Filmprojektionen, schrillen Glamour zu einer sehenswerten Bilderfülle, die etwas von blasiger Popwelt hat. Aber auch an abseitige Märchenwelt erinnert. In ein hölzernes Schiffsflugzeug etwa steigt der liebessehnsüchtige Orsino, schwebt dann durch den Bühnenhimmel vor biomorphen Meer-, Kraken-, Fisch-Filmprojektionen wie durch eine Unterwasserwelt. Aus Jules-Verne-Fantasien scheint die Szene erfunden und erzählt doch auch vom Auftrieb der euphorischen Liebeskräfte, denen in seiner „Was ihr wollt“-Inszenierung am Deutschen Theater alle ausgesetzt sind.
Pucher pflegt seinen Ruf als Popregisseur, auch weil er Schauspielern immer wieder verführerische Auftritte und Musikeinlagen beschert. Und in diesem Fall als Hingucker auch grell-schöne Kostüme. Auf einem drehbaren Showpodest empfängt die emanzipiert-sarkastische Olivia (Susanne Wolff) in einem barock-bunten Albtraum von Reifrockkleid. Die Verwandtschaft, Sir Toby und Sir Andrew, haben dicken Kajal aufgelegt und tragen Strumpfhosen im schrägen Mustermix, geschlechtlich-ambivalente Partygänger, die mit dem Tigerprint-Kammermädchen in den Pool abtauchen. Orsino (Andreas Döhler) wiederum hat einen japanischen Kimono tief zum Brusthaar aufgeknöpft. Ein Klamotten-Covering mit ironischem Gestus, aber auch ein Spiel mit Zuschreibungen, das bewusst verwirrt bleibt. Oder wie Viola es in etwa sagt: „Mein Vater hatte eine Tochter, und die liebte einen Mann, wie ich, vorausgesetzt, ich wäre eine Frau, dich lieben würde.“
Puchers Inszenierung wirkt frisch und verspielt. Man sah „Was ihr wollt“ schon in melancholischen, depressiven Bühnenvarianten. Diese wartet mit Witz auf, vor allem da, wo es um die Demütigungen geht. Ob die Verwirrungen einen düsteren Angstkern haben, wie bei der schiffbrüchigen Viola, oder doch aus Liebesblindheit resultieren, bleibt stets nur angedeutet. Am leichtesten zu täuschen ist der aufstiegswillige Diener Malvolio. Durch einen gefälschten Brief glaubt er, der Gräfin zu gefallen. Entäußert sich ihr in gelben Strümpfen und schwarzen SM-Strumpfhaltern. Der Schauspieler Wolfram Koch spielt das mit grandios bösartiger Komik, kostet voll aus, wie widerspruchlos der Gefoppte sich zu erniedrigen bereit ist. An ihm zeigt sich, was Pucher an dem Stoff interessiert: das Pendeln zwischen Größenwahn, Gefühlshochflügen und Demütigung, das im Liebesspiel zu Hause ist und in dem es doch kein richtig oder falsch gibt.
Mit dabei auf der Bühne sind auch die beiden Musiker Masha Qrella und Michael Mühlhaus, die den Abend mit Songeinlagen bestens untermalen. Einmal stimmen sie „This is not a love song“ an – das Antiliebeslied als Spielart, um seine Gefühle mitzuteilen. Manchmal singen die Schauspieler Bernd Moss, Christoph Franken und Anita Vulescia mit, ein Nachtschwärmertrio, allen Vergnügungen zugeneigt. Franken spuckt als Sir Toby kleine Springbrunnenfontänen in die Luft, zu viel Seewasser oder zu viel Alkohol geschluckt? Solche Details bleiben offen, während die Unterwasserprojektionen mit Seepferdchen, Kraken, zuckenden Kaulquappen stimmig etwas von zeitgeistiger Club- und Tanzflächenatmosphäre verströmen.
Mit hybrider Ästhetik spielt der Abend, der nach und nach sein Plädoyer für innere wie äußere Gespaltenheit entwickelt. Im finalen Gruppenbild zeigen sich die Schauspieler als geschlossene Reihe in rosa Ganzkörperanzügen, auf die Geschlechtsteile gedruckt sind. „Gleichheit ist nur Konstruktion“, heißt es dazu chorisch aus dem Off. Ein Bild, aus dem offensive Würde spricht. Und den Abend noch mal mit einem starken Schluss segnet.
■ 6. und 14. 3., jeweils 20 Uhr, 15. 3., 18 Uhr, 26. 3., 19.30 Uhr, Deutsches Theater, Schumannstr. 13a, www.deutschestheater.de