: Der überlastete Planet
INSTALLATIONSKUNST Camille Henrot inszeniert im Westfälischen Kunstverein Münster ein großes Evolutionsnarrativ in Royalblau
VON MORITZ SCHEPER
Betritt man Camille Henrots Ausstellung „The Pale Fox“ im Westfälischen Kunstverein in Münster, schießt einem sofort Yves Kleins berühmte Aussage, sein erstes monochromes Kunstwerk sei der Himmel gewesen, durch den Kopf. Sämtliche Wände des großen Hauptraumes sind in Kleins sattem Royalblau gestrichen, sogar der Boden hat einen Teppich gleichen Farbtons bekommen. Sofort saugt dieser Blauraum den Besucher auf, was umso erstaunlicher ist, als man bereits zig Bilder von den vorherigen Ausstellungsstationen London, Paris und Kopenhagen gesehen hat. Doch Aufnahmen kommen Henrots Ästhetik schwerlich bei, was an ihrer kleinteiligen, Dinge anhäufenden Ästhetik liegt, die sie gleichzeitig in große räumliche Bögen zu spannen weiß, die Kameras nur schlecht erfassen können.
Ein immer wieder unterbrochenes, verspielt geformtes Aluminiumregal zieht sich über die vier blauen Wände. Mal steht es nahezu für sich allein, als formschönes Wandrelief. Dann wieder dient es eher als Display für Bronzeskulpturen, Zeichnungen, Bücher und allerhand Zivilisationsschrott. Tatsächlich ist dieses Aluminiumband der Faden, an dem entlang Camille Henrot „The Pale Fox“ erzählt. Der Titel ist einer bekannten ethnologischen Studie über die Dogon entlehnt, eine westafrikanische Volksgruppe, in deren Mythenschatz der Blassfuchs für Chaos und Unordnung steht, interessanterweise bei einem seiner vielen Alleingänge aber auch die Sonne und somit alles Leben erschafft. Man folgt diesem Erzählregal voll sprechender Formen und Objekte und sieht wie es eine absteigende Treppe bildet über die Himmel und Erde in Kontakt kommen. Wie es Wellen bildet, wenn der Wind auf das Wasser trifft. Nur wenige Objekte kommentieren zunächst die Bewegungen des Aluminiums, zwei Straußeneier und eine großformatige Fotografie deuten den Beginn des Lebens an, Aufnahmen von Farnen stehen für die entstehende Flora, eine Stierskulptur für die Fauna auf dieser Evolutionsstufe.
Gemächlich ziehen Stein- und Bronzezeitalter auf zwei Wänden vorbei, bis das Display von einem Haufen Zivilisationsschrott aus Büchern, Telefonen und Schallplatten verschüttet wird. „Der Mülleimer ist der Ort der wichtigsten Fragen unserer Zeit“, hat die 1978 in Paris geborene Künstlerin mal in einem Interview gesagt. Unverkennbar ist Henrots Evolutionsnarrativ im Industriezeitalter angekommen. Der Erzählfaden kann längst nicht alle Objekte des Menschen mehr halten. Stattdessen ragen sie wie ein Schutthaufen in den Raum hinein, als starkes Bild für den überlasteten, ächzenden Planeten. Dass die mythische Erzählung der Dogon hier an ihre Grenzen stößt, illustrieren eine Reihe großformatiger Aufnahmen von Sonnenbränden; das Paradies ist verloren, die Eintracht von Sonne und Mensch ist Vergangenheit.
Apropos illustrieren: Camille Henrot liegt nichts ferner, als diesen afrikanischen Schöpfungsmythos neu zu bebildern. Als Star einer Kunstrichtung, die von Außenstehenden mit dem Label Post-Internet-Art versehen wurde, versucht sie, das Web und seine zahlreichen Umwälzungen einzuordnen. Diese informationsgesättigte Welt, die das www uns aufgeschlossen hat, wartet mit gewaltigen, chaotischen Datensätzen auf, die wir im blassblauen Licht unserer Bildschirme durchwühlen wie ein Fuchs den Müll.
Hinter den Sonnenbränden zieht das Aluminiumregal weit weniger expressiv weiter. Viele Fotografien und Datenträger zeigen den Drang zu erinnern, an zwei Stellen taucht Oppenheimer auf und mahnt mit seiner bloßen Präsenz die Hybris des wissenschaftliche Zeitalters an, der Binärcode betritt die Szene. Bei Henrot wird die Welt flach, der Erzählfaden langweilig-linear ob dieser Ordnungswut, die alle Information enzyklopädisch sortiert und wertfrei nebeneinander katalogisiert.
Wie sehr Mythenwelt und Computerzeitalter miteinander verschränkt sind, zeigt noch deutlicher die Videoarbeit „Grosse Fatigue“ (2013), die auf der letzten Venedig Biennale den Silbernen Löwen gewann. Auch hier schüttet Henrot die archaische Weltentstehungsmythen mit Mechanismen der Wissenssortierung im Web-Zeitalter zusammen, und zwar mit der dafür treffendsten Metapher: Dem Universum als Hintergrundbild eines handelsüblichen Macs. Darüber legen sich verschiedene Videofenster, die beständig von aufploppenden Tabs und Fotografien flankiert werden. Das alles geschieht zum Rhythmus einer pumpenden Tonspur, die in Spoken Word ein Potpourri aus den menschlichen Mythenschätzen vorträgt. Dominant innerhalb dieses Durcheinanders von sich überlagernden Bewegtbildern sind dabei Filmaufnahmen aus dem Smithsonian Institute, das riesige Mengen an konservierten Tieren hortet. Zum Schluss schließen sich sämtliche Fenster und das Universum leuchtet als Desktop, bis der Loop erneut beginnt. Diese Verschränkung zweier Kosmologien, einer archaischen mit der von Steve Jobs’, weist ziemlich verspielt auf den Umstand hin, dass unser Informationszeitalter ein solch chaotisches Ausmaß angenommen hat, das beinahe wieder mythologischer Welterklärungsmodelle bedarf.
■ Bis 10. Mai, Westfälischer Kunstverein, Münster