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Archiv-Artikel

„Angriff auf die Demokratie“

GEDENKEN An einem Schweigemarsch in Erinnerung an den im Jahr 2001 ermordeten Süleyman Tasköprü nehmen mehr als 500 Menschen teil

„Wenn Behörden gegen sich selbst ermitteln, kommt nichts dabei heraus“

RECHTSANWALT ÜNAL ZERAN

Das Mitgefühl der Altonaer ist spürbar, als sich der Trauerzug zum Gedenken des ermordeten Süleyman Tasköprü am Samstagmittag mit rund 500 Menschen durch die engen Straßen des multikulturellen Ottensen entlang von Boutiquen, Läden, Cafés und Gemüsegeschäften schlängelt. Viele tragen ein großes Foto vor sich her. „Das war Süley“, springt eine gestylte junge Frau von ihrem Caffè macchiato in der Bahrenfelder Straße auf, den sie gerade auf der Holzbank in der Herbstsonne genießt. „Da müssen wir mitgehen“, sagt sie.

Als ihre Freundin murrt, sie habe zum „Latschen“ mit den Absätzen nicht die richtigen Schuhe an, wird die langhaarige Blondine wütend: „Das war in unseren WG-Zeiten unser Gemüsehändler, wo wir immer Rabatt bekommen haben. Nun krieg mal deinen Arsch hoch.“

Und auch Innensenator Michael Neumann (SPD) reiht sich in die Spitze des Demonstrationszuges hinter der Parole „Nazi-Morde aufklären“ neben den Vertretern der Türkischen Gemeinde und dem Verein „Unternehmer ohne Grenzen“ ein.

Anlass des Schweigemarsches ist die Nachricht, dass das Zwickauer Neonazi-Trio Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ verdächtig sind, neun migrantische Gewerbetreibende und eine Polizistin in zehn Jahren ermordet zu haben, die von der Polizei als die sogenannten „Döner Morde“ geführt wurden – darunter Tasköprü. Diese Neonazi-Morde seien ein „Angriff auf die Demokratie“, sagt Neumann.

In diversen Diskussionsrunden regen sich Zweifel an der offiziellen Version. „Derartig brutale Killer begehen keinen Selbstmord“, sagt jemand. Und ein türkischer Journalist verweist auf den Tod von Hrant Dink. Der linke armenische Reporter war ebenfalls von Neonazis ermordet worden, die vom Türkischen Geheimdienst „Millî Istihbarat Tekilât“ (MIT) unterstützt worden sind. „Das trägt dieselbe Handschrift“, sagt der Reporter. „Mich würde nicht wundern, wenn die Zschäpe bald Selbstmord begeht“, sagt der Fraktionschef der Linkspartei in Bezirk Altona, Robert Jarowoy, in Anspielung auf die sogenannten „RAF-Selbstmorde“ von Stuttgart-Stammheim.

Sicher sind sich alle, dass die Verfassungsschutzämter das Neonazi-Trio gedeckt haben. Ünal Zeran vom Komitee „Ramazan Avci“, der vor 25 Jahren an seinem Geburtstag von rechten Skinheads vor ein Auto getrieben worden ist, fordert daher eine internationale Untersuchungskommission. „Wenn Behörden gegen sich selbst ermitteln“, sagt der Anwalt, „kommt nichts dabei heraus.“ KAI VON APPEN