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Archiv-Artikel

„Sie war keine radikale Persönlichkeit“

Heute wäre Astrid Lindgren 100 geworden. Das Lübecker Buddenbrookhaus widmet ihr deshalb eine aus zwei Privatsammlungen bestückte Ausstellung. Die präsentiert Bücher, Briefe und eine Werbung für Lebertran. Kuratorin Anne Roßius erklärt warum

Von PS

ANNE ROßIUS, 28, hat in Kassel Geschichte und Germanistik studiert und ist seit August vorigen Jahres wissenschaftliche Volontärin am Lübecker Buddenbrookhaus. Die Ausstellung über Astrid Lindgren hat sie auf Anregungen zweier Lübecker Privatsammlerinnen kuratiert.

taz: Frau Roßius, haben Sie für Ihre Ausstellung einfach zwei Privatsammlungen zusammengeschüttet?

Anne Roßius: Nein, es gibt natürlich ein Konzept: Die Schau befasst sich einerseits mit Lindgrens Vita, andererseits mit ihrem Werk. Wir suchen anhand von Briefen, Büchern und Dokumenten zu zeigen, welche autobiografischen Elemente in ihr Werk einflossen. Außerdem zeigen wir die Korrespondenz zwischen ihr und dem Oetinger Verlag, die noch nie zu sehen war.

Wird das politische Engagement Lindgrens unterschätzt, und Sie wollen das gerade rücken?

Ich sehe das viel unspektakulärer. Von diesem Engagement weiß einfach nicht jeder, der Lindgrens Bücher las. Es ist nicht so bekannt, dass sie 1976 dagegen protestierte, dass die schwedische Regierung Selbständige – auch Schriftsteller – zwingen wollte, bis zu hundert Prozent Steuern zu zahlen. Außerdem trat sie Mitte der Achtziger erfolgreich für die Verbesserung des schwedischen Tierschutzgesetzes ein. Diese Facetten wollen wir zeigen.

Der Protest gegen die Steuergesetzgebung, die sie als Autorin ja selbst betraf, lässt sich auch als Lobbying in eigener Sache deuten.

Das greift zu kurz. Natürlich war sie selbst betroffen, aber wenn sie nicht gewusst hätte, dass es viele andere auch waren, hätte sie nicht öffentlich protestiert und sogar das Steuermärchen „Pomperipossa in Monismanien“ darüber geschrieben. Es ging ihr bestimmt nicht um den eigenen Geldbeutel – zumal sie selbst sehr bescheiden lebte und immer betont hat, dass sie gern Steuern zahle.

Aber sie ging so weit, zur Abwahl der sozialdemokratischen Regierung aufzurufen. Würden Sie sie als radikal bezeichnen?

Nein. Ich würde sagen, dass sie einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte, und das über Parteigrenzen hinweg. Denn man muss bedenken, dass sie selbst ihr Leben lang Sozialdemokratin war. Aber eine radikale Persönlichkeit war sie nicht.

Ist „Pippi Langstrumpf“ in Ihren Augen eher eine Mädchen-Emanzipationsgeschichte oder ein Roman über das Überlebenstraining eines elternlosen Kindes?

Er ist beides. Das Überlebenstraining ist natürlich das zentrale Thema. Andererseits wurde das Buch zu seiner Entstehungszeit selbst in Schweden besonders kontrovers diskutiert, weil ein Mädchen im Zentrum stand.

Taugt das Buch auch heute noch als Emanzipationslektüre für Mädchen?

Als Emanzipationslektüre für Kinder generell, würde ich sagen. Denn jedes Kind wünscht sich angesichts der viel stärkeren Erwachsenen eine gewisse Macht, um mal so richtig zu rebellieren. Diese Macht hat Pippi – durch ihre Stärke und ihr Geld. Aber sie hat auch eine besondere Art, mit dieser Macht umzugehen und kann deshalb auch für Kinder, die in ganz anderen Verhältnissen leben, ein Vorbild sein.

Bestärkt ein solcher Roman aber nicht pubertäre Allmachtsphantasieren und kann sogar gefährlich sein?

Ich glaube nicht. Denn Pippi Langstrumpf missbraucht ihre Kräfte ja nicht. Sie macht nichts kaputt und verschafft sich keine Vorteile. Sie setzt sich im Gegenteil für die Schwächeren ein.

Haben Lindgrens Romane in Ihren Augen übermäßig zum Klischee der schwedischen heilen Welt beigetragen?

„Heile-Welt-Klischee“ klingt so negativ. Sie hat einfach über das geschrieben, was sie erlebt hat: Die „Bullerbü“-Geschichten handeln von ihrer eigenen Kindheit, der „Michel aus Lönneberga“ vom Leben ihres Vaters. Außerdem ist auch diese Welt bei genauerem Hinsehen nicht ohne Probleme, wenn man zum Beispiel die Armenhäusler im „Michel“ bedenkt.

Ihre Ausstellung präsentiert auch Kuriositäten. Welche?

Wie haben zum Beispiel Plakate von 1949, auf denen Pippi dafür wirbt, dass Kinder Lebertranpillen nehmen, damit sie so stark werden wie sie. Und auf einem Busplakat aus demselben Jahr wirbt Pippi für den Kindertag.

Wurden Astrid Lindgrens Figuren also instrumentalisiert?

Nein. Die Autorin hat sich immer dagegen gewehrt, und es gibt auch nur wenige Merchandising-Artikel, auf denen ihre Figuren abgebildet sind. Auch wurde Astrid Lindgren infolge ihres politischen Engagements immer wieder aufgefordert, sich für verschiedenste Belange einzusetzen, aber sie hat auch das fast immer abgelehnt. INTERVIEW: PS

Die Ausstellung wird heute um 19 Uhr im Lübecker Buddenbrookhaus eröffnet und ist bis 17. 2.  2008 zu sehen.