: Es kommt der Strom von JWD
In Wilhelmshaven, Stade und Brunsbüttel werden neue Kohlekraftwerke geplant, während ein ähnliches Projekt in Bremen gescheitert und eines in Hamburg fraglich ist. Dabei ließen sich die Anlagen in den Großstädten effizienter nutzen
In Norddeutschland sind zurzeit sechs Atomkraftwerke am Netz, die nach dem Atomkonsens bis 2020 stillgelegt werden müssen: Brunsbüttel 2009, Unterweser 2012, Krümmel 2017, Grohnde 2018, Brokdorf 2019 und Emsland 2020. Sie erzeugen im Jahresdurchschnitt etwa 57.000 Gigawattstunden (GWh). Eine GWh entspricht einer Million Kilowattstunden (kWh). Bis 2015 sollen im Norden 18 fossil betriebene Kraftwerke gebaut werden mit einer Leistung von 48.000 GWh. Sieben werden mit Gas, sechs mit Steinkohle betrieben, je zwei mit Biomasse und Müll sowie eines mit Braunkohle. Das größte von ihnen wäre ein Vattenfall-Kraftwerk in Hamburg. Mit 1.640 MW wäre es doppelt so leistungsfähig wie die Kraftwerke von Electrabel mit je 800 MW. SMV
VON GERNOT KNÖDLER
Ein „Partnerschaftsvertrag“ zum Bau eines Steinkohlekraftwerks haben gestern die Stadt Wilhelmshaven und der Stromversorger Electrabel unterzeichnet. Die Tochterfirma des internationalen Suez-Konzerns plant zwei solche Kraftwerke in Norddeutschland und hatte dafür drei Standorte in Gespräch gebracht. Neben Wilhelmshaven sind das Stade und Brunsbüttel. In Wilhelmshaven will überdies der Eon-Konzern sein Kohle-Kraftwerk aus den 70er Jahren ersetzen.
Während an der Peripherie fleißig geplant wird, haben die Stadtwerke Bremen (SWB) ihren Plan aufgegeben, ein großes Kohlekraftwerk zu bauen. Und selbst im CDU-regierten Hamburg ist der Vattenfall-Konzern mit seinen Plänen für zwei 800-Megawatt-Steinkohle-Blöcke unter Druck geraten: Sie passen nicht zur Politik des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust, der Hamburg zu einer Metropole des Klimaschutzes machen will. Dabei ließen sich die Kraftwerke in den Großstädten effizienter nutzen als in der Marsch. Zumindest in Hamburg war es vorgesehen, die Abwärme eines Kraftwerkblocks in das Fernwärmenetz einzuspeisen und damit Wohnungen zu heizen. In Wilhelmshaven würde allenfalls die Nordsee geheizt.
Die Städte an der Küste und den großen Strömen eignen sich besonders als Standorte für Kohlekraftwerke, denn auf dem Wasserweg können die vielen Tonnen Brennmaterial billig herbeigeschafft werden. Das existierende 750-Megawatt-Kraftwerk in Wilhelmshaven braucht bei Volllast mehr als 6.000 Tonnen Steinkohle am Tag. Die Lage am Wasser ermöglicht außerdem eine billige Kühlung, wobei in jedem Fall genau zu prüfen ist, ob das Wasser nicht zu stark erhitzt wird. Kritiker in Hamburg prognostizieren, dass ein Kraftwerk am südlichen Teilarm der Elbe bei hochsommerlichem Niedrigwasser vom Netz gehen müsste.
Während in den Metropolen die Skepsis gegenüber den Kraftwerksneubauten groß ist, hoffen die kleineren Städte auf Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Stade muss den Verlust seines Atomkraftwerks kompensieren. Brunsbüttel droht die Abschaltung seines Atommeilers im Jahr 2009. Wilhelmshaven ist nicht gerade mit Prosperität gesegnet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 12,4 Prozent. Das Kraftwerk von Electrabel soll angeblich 100 Arbeitsplätze bringen. Mit dem Bau wären 1.500 Leute beschäftigt.
Der Energieversorger will nach eigenen Angaben zwei Milliarden Euro für seine beiden norddeutschen Kraftwerke investieren. Mit jeweils 800 Megawatt Leistung würden sie ab 2012 mehr Strom erzeugen als das Atomkraftwerk Brunsbüttel. „Unsere Standorte an der Nordseeküste eignen sich hervorragend, um modernste Steinkohlekraftwerke mit dem höchsten bisher möglichen Wirkungsgrad von über 46 Prozent zu errichten“, sagt Erik von Scholz, der Vorstandsvorsitzende von Electrabel. Der Wirkungsgrad ist der Anteil der eingesetzten Energie, der in Strom umgewandelt wird.
Wesentlich ehrgeiziger ist der Ersatzbau von Eon. Der Konzern will „das weltweit erste große Kohlekraftwerk mit einem Wirkungsgrad von über 50 Prozent und einer Leistung von rund 500 Megawatt“ errichten, ein hochtemperaturiger Prototyp, der 2014 ans Netz gehen soll.
Aus Sicht des Greenpeace-Experten Karsten Smid wäre selbst diese Hightech-Lösung mehr als ungenügend. Die wenigen Prozent höherer Wirkungsgrad stünden in keinem Verhältnis zu dem, was der Kampf gegen den Klimawandel erforderlich mache. „Es ist absurd, in Zeiten des Klimawandels noch so eine Kohlendioxidschleuder zu bauen“, findet Smid. Das gelte besonders für Norddeutschland. Wilhelmshaven und Brunsbüttel sollten Einspeisepunkte für den Strom aus Offshore-Windparks sein. Von hier aus könne Windstrom in die ganze Republik exportiert werden. Der Norden brauche allenfalls ein paar schnell anspringende Gaskraftwerke zum Ausgleich von Flauten.