„Sehr viele Legenden“

WORPSWEDE Ferdinand Krogmann stellt seine Chronik des Künsterldorfes in der NS-Zeit vor

■ 63, ist Historiker und ehemaliger Einwohner Worpswedes.

taz: Herr Krogmann, für Ihre bei Donat erscheinende Worpswede-Chronik haben Sie unter anderem sämtliche Jahrgänge der Wümme-Zeitung zwischen 1929 und 1950 zwei Mal komplett durchgelesen. Was haben Sie herausgefunden?

Ferdinand Krogmann: Ich habe mich in Gegensatz zu früheren Untersuchungen nicht nur auf die Worpsweder Künstler beschränkt, sondern das gesamte Gemeindeleben betrachtet. Dabei habe ich nicht einen einzigen Verein gefunden, dessen Gleichschaltung zwangsweise erfolgen musste. Alle, von den Turnern über den Männergesangsverein bis zur Schweinezüchtervereinigung, haben sie die den Nationalsozialismus begeistert begrüßt. Auch die Guttempler fanden es toll, dass Hitler keinen Alkohol trank und betrachteten ihn als einen der ihren.

Gab es etwas, das Sie überrascht hat?

Ich finde es durchaus immer wieder bemerkenswert, wie viele Legenden kursieren. Der Schriftsteller Waldemar Augustiny, dessen Sohn einen Prozess gegen mich angestrengt hatte, sprach beispielsweise von Worpswede als „Insel im braunen Meer“. Die Fakten zeigen etwas anderes: Bei der Reichstagswahl vom März 1933 bekamen NSDAP und Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP), die dann gemeinsam die Regierung bildeten, in mehreren Ortsteilen 70 bis über 80 Prozent der Stimmen, im Ortskern waren es 66 Prozent. Der reichsweite Durchschnitt lag bei 51,9 Prozent. Sehr viele der Künstler und Galeristen waren Mitglieder der NSDAP, des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“ oder anderer NS-Organisationen. Der Schriftsteller Wilhelm Scharrelmann war zum Beispiel förderndes Mitglied der SS, wird aber heute noch als Nazi-Gegner „Antimilitarist“ tituliert. Worpswede müsste langsam in der Lage sein, sich von seinen Legenden zu verabschieden.

Interview: HENNING BLEYL

Lesung mit Lichtbildern: 19.30 Uhr, Buchhandlung Leuwer, Am Wall 171