AUF DEM RAMMSTEIN-KONZERT IN GDANSK
: Völkerverständigung unter Alkoholikern

VON JURI STERNBURG

Ich bin auf dem Teppich geblieben. Ich bestreite nicht, dass es sich um einen fliegenden Teppich mit Heckspoiler handelt, aber auch dieser gleitet meist tief genug, um ganz gewöhnliche Hundehaufen zu streifen. Der Vorteil eines solchen Tiefflugs besteht jedoch in der Tatsache, dass man dem ein oder anderen Radarschirm entkommt. Gerade eben war ich noch ein König im Lande des Zlotys, Zigarettenbäume und Wodkaflüsse bestaunend, doch schon wenige Sekunden später fand ich mich bis zum Hals in der Scheiße wieder. Unappetitlicherweise war es trotzdem Zeit, den Kopf hängen zu lassen, allein aus Gründen der Demut. Während das deutsche Polizistenduo gerne das Prinzip „Guter Bulle/Böser Bulle“ bis ins Lächerliche ausreizt und dabei auch gern mal die Rollen verwechselt, verfährt die polnische Polizei auf direktere Weise: „Böser Bulle/Aggressiver Bulle“. Glücklicherweise kam ich dank meiner gespielt schlechten Englischkenntnisse und dem tunlichsten Vermeiden von Blickkontakt mit einer Verwarnung davon. Eine seltene Ausnahme, wie mir sowohl die Polizisten als auch die uns begleitenden Polen versicherten.

Ursache der ganzen Aktion war das Öffnen einer Bierdose direkt vor einer Konzertarena in Gdansk, von Orts- und Geschichtsunkundigen gern Danzig genannt. Schon wenige Sekunden später hatte ich mich emotional beruhigt und dank Gästelistenplatz und Sondereingang schon wieder Oberwasser. Verantwortlich hierfür war nicht etwa irgendein farbiges Bändchen, sondern die Tatsache, dass wir uns endlich aus der Masse der Besucher in eine Loge zurückziehen konnten, auch wenn das jetzt vielleicht missverständlich daherkommt. Ich erwähnte bereits, dass wir uns in Polen befanden?

Nun muss ich befürchten, Sie missverstehen mich immer mehr, also kommen wir lieber zum entscheidenden Punkt: Wir besuchten ein Konzert von Rammstein. In Gdansk. Schon die vorherige Nacht in einer Absinthbar ließ Böses erahnen. Da das Essen in Polen durchaus streitbar ist, beschäftigten wir uns logischerweise mit flüssiger Nahrung, denn wie jeder weiß, sind drei Hefeweizen eine Mahlzeit. Ein lockeres, völkerverständigendes Gespräch mit einem ortsansässigen Alkoholiker und fanatischen Rammstein-Fan gipfelte in der Erkenntnis, dass selbiger gerade aus Warschau zurückgekehrt war, wo er zusammen mit anderen Hooligans den Unabhängigkeitstag Polens feiern wollte. Das Gespräch wurde abrupt beendet, und wir bestellten eine weitere Flasche Wodka für eine Truppe norwegischer Spanierinnen (so genau weiß ich das nicht mehr), die zwischenzeitlich wie durch Zauberhand den Weg zu unserem Tisch gefunden hatte.

Das Konzert am nächsten Tag war erwartungsgemäß professionell und laut, unsere Köpfe erwartungsgemäß groß und schwer und einige Damen auf der Backstage-Aftershowparty erwartungsgemäß groß, laut, schwer und professionell. Die Örtlichkeit versprühte den Charme einer polnischen Turnhalle – was eventuell daran lag, dass es sich um eine polnische Turnhalle handelte. Gemäß dem weltweit akzeptierten Ausspruch „What happens in Danzig stays in Danzig!“ möchte ich nur so viel verraten: Wir schwören Rache für das alkoholfreie Beck’s, welches uns zu fortgeschrittener Stunde von der Rammstein-Crew untergejubelt wurde, und wenn man eine Barkeeperin als „Pussy“ tituliert, dann ist es nicht praktisch, wenn sie nicht versteht, dass man damit eine durchaus positive Mischung aus „Punk“ und „Tussi“ beschreiben möchte. Anglizismen sind normalerweise auch für mich ein absolutes No-go.

In den Morgenstunden rächte sich dann das alkoholfreie Bier, denn wir fühlten uns alle noch relativ fit, und so erklärte ich einem leicht genervten Rausschmeißer, was schon die Taliban wussten: „Ihr habt die Uhren, aber wir haben die Zeit!“