: Die Arbeitsgruppe Er-Fahren
Auf Begegnungsreisen lernen Jugendliche mit und ohne Migrations-hintergrund die türkische Kultur kennen
■ Wer Interesse hat, eine Begegnungsreise in die Türkei durchzuführen, kann sich bei Er-Fahren melden. Bis zum 30. November läuft das Bewerbungsverfahren für 2012. Antrag und Informationen finden sich auf der Webseite von „Umverteilen! Stiftung für eine solidarische Welt“.
■ Im Netz:
„Menschen mit deutschem und türkischem Hintergrund berühren sich noch immer zu wenig“, konstatiert Heike Brandt, Gründerin der Arbeitsgruppe Er-Fahren. 50 Jahre lebe man jetzt schon in Deutschland zusammen und trotzdem kenne man sich kaum. Ein Manko, was nicht zuletzt den Nährboden für Vorurteile biete.
Dieses Problem zu lösen, darin besteht die Aufgabe der AG Er-Fahren, die zur Stiftung „Umverteilen!“ gehört. Die AG bietet Begegnungsreisen für Kinder, Jugendliche oder junge Erwachsene mit und ohne Migrationshintergrund an. Ziel der Reisen ist es, den TeilnehmerInnen einen Einblick in die türkische Kultur zu bieten und somit den Austausch zwischen Menschen aus Deutschland und der Türkei zu fördern. Brandt ist von dem Erfolg ihrer Arbeit überzeugt: „Die jungen Menschen lernen nicht nur viel über ihr Gegenüber, sondern auch über sich selbst“, erklärt die Aktivistin.
Die Idee für diesen Ansatz kam Brandt in den 80er Jahren. Damals besuchte ihr Kind die zweite Gesamtschule Kreuzberg. Brandt fiel auf, dass deutsche und türkische Jugendliche nach der Schule getrennte Wege gingen. Das musste sich ändern. Da Brandt selbst gern reiste und wusste, dass man auf Reisen viel lernen kann, organisierte sie sie gemeinsam mit Eltern und Lehrern eine Klassenreise in die Türkei. „Wir wollten den Jugendlichen zeigen, wie vielfältig die türkische Kultur sein kann“, sagt Brandt. Sie besuchten Istanbul, arbeiteten in einem Dorf und machten in kleinen Gruppen Familienbesuche an verschiedenen Orten.
Der Erfolg stellte sich schon während der Reise ein: Wie die Aktivistin berichtet, seien die deutschen Jugendlichen überwältigt gewesen von der türkischen Gastfreundschaft. Die Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund hingegen lernten ein Land kennen, das ganz anders war, als sie es aus ihrem familiären Umfeld kannten. Sie stellten fest, dass die Türkei ein modernes Land ist und dass sich ihr Türkisch von dem der Türkei unterschied. Trotzdem fanden sie sich schneller zurecht als die deutschen Jugendlichen und waren so zum ersten Mal in der Situation, dass sie mehr wussten und sich besser verständigen konnten als ihre deutschen MitschülerInnen. „Diese Erfahrung kann kein noch so guter Schulunterricht bieten“, erklärt Brandt.
Dies war aber nicht die einzige Erkenntnis, die sie aus der Reise zog. Sie hatte ebenfalls festgestellt, dass die Planung und die Finanzierung einer solchen Reise ein mühseliger Prozess ist, der ohne professionelle Hilfe sehr viel Zeit in Anspruch nehmen kann.
Deshalb rief sie bei der Gründung der Stiftung „Umverteilen!“ 1986 die AG Er-Fahren ins Leben. Seitdem hat die AG mehr als 500 Jugendgruppen und Schulklassen Begegnungsreisen in die Türkei ermöglicht. Die Förderung der einzelnen Projekte erstreckte sich dabei von der Übernahme etwa der Hälfte der anfallenden Kosten über die Buchung der Flüge bis hin zur Beschaffung von Kontakten und Unterkünften.
Der Ablauf der Begegnungsreisen sieht wie folgt aus: Entweder leisten die Gruppen einige Tage gemeinnützige Arbeit in einem Dorf ab oder besuchen eine Partnerschule. In jedem Fall steht ein Aufenthalt in der von der AG betriebenen Begegnungsstätte „Afacan“ auf dem Programm. Diese liegt 80 Kilometer nördlich von Izmir am Ägäischen Meer. Der Aufenthalt in Afacan hat dasselbe Ziel wie die von der AG Er-Fahren geförderten Türkei-Reisen: Menschen mit verschiedenem kulturellen Hintergrund verbringen Zeit miteinander und lernen sich kennen. „Die Anlage kommt bei allen richtig gut an“, berichtet Brandt.
Wer Interesse hat, eine Begegnungsreise in die Türkei durchzuführen, kann sich bei Er-Fahren melden. Bis zum 30. November läuft das Bewerbungsverfahren für 2012. „Wer sich nicht kennt, bleibt sich fremd“, sagt Heike Brandt. Die Reisen seien eine gute Möglichkeit, das zu ändern. LUKAS DUBRO