Der Budenterror hat begonnen

WEIHNACHTEN Der eine lockt die Hautevolee mit Champagner, auf dem anderen tummelt sich das einfache Volk: Seit Montag gibt es kein Entkommen vor den Weihnachtsmärkten

„Um einen Stand hier bewirbt man sich nicht, man wird angesprochen“

HÄNDLERIN AUF DEM GENDARMENMARKT

VON PLUTONIA PLARRE

Bonbons, Dufthölzer, Keramik, Schmuck, Seifen, Socken, Mützen, Chinanudeln – Holzbude reiht sich an Holzbude. Der einzige Unterschied: Die einen sind kleiner, die anderen größer. Zwei Seitenwände, Rückwand, Ladentisch, überdacht von einer rot-weiß gestreifen Plastikplane. Hunderte dieser Hüttendörfer aus Fertigbausätzen gibt es in der Stadt. Wo sich ein Platz auftut, stehen sie. Bis zum Totensonntag waren den Betreibern Schranken auferlegt. Nun heißt es: Film ab. Der Weihnachtsterror hat begonnen.

10 Uhr Potsdamer Platz. 11 Uhr Gendarmenmarkt. 11 Uhr Breitscheidplatz. 13 Uhr Alexa. 14 Uhr Schloss Charlottenburg. 15 Uhr Kulturbrauerei. Stündlich wurde am Montag die Eröffnung eines Weihnachtsmarkts gemeldet. Wie ein Bazillus breiten sie sich aus. Und das ist erst der Anfang.

„Unsere Zielgruppe ist die ganze Familie“, sagt Jacqueline Bergmann. Die junge Frau mit zart geschminktem Gesicht hat ihr Büro in der Almhütte am Potsdamer Platz. Dort und vor der Galeria Kaufhof am Alexanderplatz betreibt die Familie Weihnachtsmärkte. „Sauberes Erscheinungsbild, gute Händlermischung – darauf kommt es an“, erklärt Jacqueline Bergmann. Wichtig sei die Liebe zum Detail. „Die Sinne müssen angesprochen werden.“ Ein Weihnachtsmarkt ohne den Geruch von gerösteten Mandeln und Glühwein „ist undenkbar“.

Neben der Almhütte erhebt sich die angeblich größte mobile Rodelbahn Europas. Rund 150 Tonnen Eis und Schnee bilden den Untergrund, erklärt ein Arbeiter. Entspannt an einen Zaun gelehnt, zieht er an seiner Zigarette. Die Sonne wärmt. Menschen mit Aktentaschen hasten über die Kreuzung. Lust auf Schlittenfahren? Denkste.

Vom Gedarmenmarkt wird gern behauptet, er sei der Rolls-Royce unter den Weihnachtsmärkten. Schon der Kontrollposten am Eingang signalisiert: Nicht jeder ist erwünscht. Einen Euro kostet der Eintritt. Auch optisch hebt sich die weiße Zeltstadt hinter dem Zaun von dem Holzhütten üblicher Weihnachtsmärkte ab. 0,75 Liter Blanc de Blancs im sogenannten Champagnerzelt werden für 80 Euro feilgeboten. Abends, heißt es, werde dort gern kräftig gefeiert.

„Der Euro ist eine Art Türsteher“, sagt Karin Scholz. Die Händlerin mit schwarzen hochgesteckten Haaren und rot geschminkten Lippen wohnt normalerweise in Düsseldorf. Seit neun Jahren kommt sie nach Berlin, um auf dem Gendarmenmarkt Waren aus feinem japanischem Koberindleder zu verkaufen. In fünf Wochen Weihnachtsmarkt setze sie so viel um, dass sie das ganze Jahr davon leben könne, erzählt die Lederkünstlerin. Eine Tasche kostet bei ihr bis zu 4.000 Euro. Zu ihren Kunden zählten Paris Hilton und Wladimir Klitschko. „Um einen Stand auf dem Gendarmenmarkt bewirbt man sich nicht“, sagt Scholz. Kunsthandwerker würden von den Betreibern gezielt angesprochen.

Auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz steht Ibrahim Forna in einer Holzhütte und handelt mit bedruckten Schals. Seine Kunden seien Touristen aus aller Welt, aber auch Berliner, erzählt der Mann aus Sierra Leone. Seit 17 Jahren lebt er in Deutschland. „Berlin – Fucking City“, ist auf einem blauen Schal zu lesen. „Ich bin wirklich gut im Bett“, auf einem anderen. „Ich drucke das alles selbst“, sagt Forna nicht ohne Stolz. Sein teuerster Schal kostet 12 Euro.