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Archiv-Artikel

Die diverse Gegenwart der Afrodiaspora

HYPE Aufeinander reagieren, bis das nächste Level erreicht ist: das Debütalbum des Produzentenkollektivs Future Brown

Alle Songs der 17 Künstler sind in nur zweieinhalb Wochen in L.A. entstanden

VON THOMAS VORREYER

„Dude, where is my theory?“ Ein Tweet, abgesetzt von der bildenden Künstlerin und Produzentin Fatima Al Qadiri. Mit ihrem Album „Asiatisch“ gelang ihr 2014 ein großer Erfolg bei der Kritik. Al Qadiri ist Mitglied der Gruppe Future Brown und in deren Namen empört sie sich gerade.

Future Brown haben keine Grundthese. Und sie sind auch kein Kunstprojekt. Das sollte zunächst bewusst sein, bevor man sich mit ihrem gleichnamigen Debütalbum auseinandersetzt, an dem jeder an Club & Bass-Musik, HipHop, R’n’B, Grime und Dancehall Interessierte vorerst nicht vorbeikommen wird.

Aber der Reihe nach. Future Brown, das sind auch Jamie Imanian-Friedman alias J-Cush sowie Asma Maroof und Daniel Pineda, zusammen als Nguzunguzu bekannt. Alle vier leben und arbeiten in den USA, ihre Herkünfte verteilen sich über viele Teile der Welt. Und: Future Brown sind – der Name ist kein Etikettenschwindel – nichtweiß. Doch nahezu ausschließlich weißer Herkunft ist bislang ihre journalistische Rezeption, da machen die ersten Interviews und dieser Text hier ebenso keine Ausnahme wie die Albumrezension zu „Future Brown“ beim US-Internetmagazin Pitchfork, an der sich Al Qadiris Tweet entzündete. Wer Kunst und Musik macht, der muss auch eine Arbeitsthypothese haben, so der Tenor der Kritik. Dabei sind es stets ästhetische Entscheidungen, die Musik, Gruppe und Außendarstellung ausmachen.

Das betonen Maroof, Pineda und Imanian-Friedman auch beim Interview in Berlin. Al Qadiri ist leider verhindert wegen einer Knieoperation. Ihr Debütalbum umfasst elf Songs – und 17 Mitstreiter: Sänger, Rapperinnen, andere Produzenten. Aktuell heiß gehandelte US-Newcomer wie Kelela und Tink treffen auf ihre Vor-Vorgängerin Shawnna. Die jamaikanische Dancehall-Sängerin Timberlee ist zu hören, die Londoner Grime-Crew Ruff Sqwad oder das Bop-Rap-Duo Sicko Mobb aus Chicago. Da kann es auch mal passieren, dass auf feministische Selfempowerment-Zeilen unterschwellig misogyne folgen. Bereits vor einigen Wochen bekannte Al Qadiri, dass sie sich als Produzentin da nicht einmischen wollte. Dafür fliegen die Beats tief, sind etwas weniger scharfkantig als bei Soloarbeiten. Es klingklangklingen diverse emulierte Glocken und Steel Drums. Die Rhythmen sind sehr variabel.

Future Brown changieren zwischen Peak Time und R’n’B-Schmusestunde, im Prinzip kann aber jeder Song des Albums in jeden anderen gemixt werden. Passt. Lässt keine Luft, sondern wackelt. Alle Songs sind innerhalb von nur zweieinhalb Wochen in L.A. entstanden. „Wir kennen uns gut genug, um ohne Formeln oder Regeln zu arbeiten“, sagt Pineda. Wichtig sei nur die gemeinsame Anwesenheit, fährt sein Kollege fort: „Wir wollten aufeinander reagieren können. Irgendjemand hat immer alles auf das nächste Level gehoben.“

Im Netz wird wiederum der visuelle Output von Future Brown diskutiert. Da ist zum einen ihr an Facebook angelehntes Logo, zum anderen das Video zu „Vernáculo“, im Stile einer Kosmetik-TV-Werbung für eine neuartige Hautcreme namens „Future Brown“, die allen nichtweißen Frauen dieser Welt genau die richtige Hauttönung verpasst. Beides wurden vom befreundeten Kunstkollektiv DIS gestaltet, das für die Aneignung von Werbe- und Stock-Foto-Ästhetik bekannt ist. Grundsätzlich sei aber ohnehin „alles eins“, sagt Masoof über Kunst und Kommerz und Pineda projiziert den Gedanken auf die Band: „Man kann uns mit all der Arbeitsteilung, den Meetings, Interviews etc. natürlich auch als Firma sehen.“

Aber wer klug ist, geht nicht den überzeichneten Vorstellung nach, hier würde tatsächlich konzeptionell geplant, um die Zukunft der Popmusik zu formulieren. Besser begreift man das Debütalbum von Future Brown als einen unmittelbaren Einblick in eine sehr diverse Gegenwart, besonders jene der Afrodiaspora.

Es ist auch weniger eine politische Entscheidung von Future Brown, derlei unterschiedliche Perspektiven gleichberechtigt sichtbar zu machen, sondern eher eine des Rezipienten, sich an dieser fortzubilden. Wenn im Club also die Musik auf ungewohntes Terrain wechselt, einfach mal stehen bleiben und reinfühlen. Das gilt auch für die Kunst: Im nächsten Jahr wird das DIS Kollektiv die Berlin Biennale leiten. Man wird dann wohl auch wieder von Future Brown hören.

■ „Future Brown“ (Warp/Rough Trade)