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Archiv-Artikel

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Das geht sein’ sozialistischen Gang: Das Kölner Konzert von Wolf Biermann, Konzert-Mitschnitt des WDR, 1976

Wolf Biermann kam 1976 für ein Konzert von Ostberlin nach Köln. Auf Einladung der Industriegewerkschaft Metall. Der Sohn des kommunistischen Widerstandskämpfers Dagobert Biermann war 1953 aus Hamburg in die DDR migriert. Sein Vater war von der Gestapo verhaftet und im KZ Auschwitz vergast worden. Als Jude, als Kommunist.

Biermann, entwickelte, je länger er in der in der DDR lebte, eine linke Kritik an ihr, gemeinsam mit Robert Havemann, Jurek Becker und vielen anderen Schriftstellern, Wissenschaftlern. Er selbst wurde Liedermacher. Ab 1965 galt für ihn in der DDR nicht nur ein Auftritts- und Publikationsverbot, sondern auch ein Reiseverbot. 1976 bekam Wolf Biermann überraschend die Ausreise zu einer Tournee in die BRD genehmigt. In Köln gab er am 13. November 1976 sein erstes Konzert. Drei Tage später verkündete die Nachrichtenagentur der DDR, dass „ Biermann das Aufenthaltsrecht in der DDR aberkannt worden ist“. In Ost und West regte sich dagegen breiter Protest. BürgerInnen der DDR, die sich für seine Wiedereinreise einsetzten, wurden zum Teil verhaftet, zur Ausreise in den Westen gezwungen, bekamen im Beruf Schwierigkeiten.

Der WDR hatte das Konzert in Köln aufgezeichnet, mit mehreren Kameraleuten. Geplant war eine einstündige Sendung im Regionalfernsehen. Werner Höfer, damals WDR-Intendant, rief Biermann zu sich und erklärte, das ganze Konzert senden zu wollen. „Wie vor Gericht“, sagte Biermann kürzlich gegenüber der Welt: „Als Beweis gegen den Klassenfeind im Osten: Schaut her, für so was wurde er ausgewiesen.“ Vier Stunden, direkt nach der Tagesschau. Daraus wurde nichts, weil der Bayrische Rundfunk Einspruch erhob: Es könne doch nicht zur besten Sendezeit kommunistische Propaganda verbreitet werden. So wurde ab elf gesendet.Vier Stunden lang.

Durch die Systemkonkurrenz von BRD und DDR war plötzlich zu sehen, was sonst in beiden Staaten im Fernsehen nicht wohlgelitten war: Ein kommunistischer Liedermacher, der zu Beginn seines Konzertes die jüdische Gründerin der KPD, Rosa Luxemburg, zitierte, mit ihrer Kritik am Demokratiemangel in der Russischen Revolution. Es war atemberaubend, es war gut. Achttausend Westlinke, selbst zum Teil Opfer von Berufsverboten und Gewerkschaftsausschlüssen der westdeutschen Obrigkeit, hörten und sahen Biermann. In ihrer Mitte, mit seiner Gitarre, wie er sich verausgabte, wie er sang, wie er sich freute und melancholisch wurde. Die Altonaer Liederproduktion hat jetzt den kompletten Mitschnitt des gesamten Konzertes vom 13. November 1976 als bewegendes Dokument von knapp vier Stunden Länge auf einer Doppel-DVD veröffentlicht. Ein Zeugnis über die nahezu vergessene, kommunistische Kritik an der DDR.

Das Kultwerk West zeigt den Mitschnitt auf 133 Minuten gekürzt auf Klamroths monatlichem Filmabend. Mit einer Pause, in es Wein und Brezeln gibt. Gaston Kirsche

Do, 24. 11., 20 Uhr, Kultwerk West, Kleine Freiheit 42, Hamburg