: Nachrichten vom Planeten Asperger
AUTISMUS „Im Weltraum gibt es keine Gefühle“ ist der weitgehend gelungene Versuch des schwedischen Regisseurs Andreas Öhman, einen Film aus der Perspektive eines Autisten zu inszenieren
VON WILFRIED HIPPEN
Die Welt ist chaotisch und nur durch die Vorstellung, die jeder einzelne sich von ihr macht, bekommt das Leben in ihr einen Sinn und wird dadurch erträglich. Die meisten dieser Weltbilder sind mehr oder weniger deckungsgleich, doch es gibt Ausnahmen, an denen wir erkennen können, dass dieser Grundkonsens keinesfalls selbstverständlich ist. Menschen, die am Asperger-Syndrom leiden, haben zum Beispiel große Schwierigkeiten damit, die Gefühle ihrer Mitmenschen zu deuten. Emotionen sind ihnen völlig fremd und so ist es schwierig, wenn nicht unmöglich für sie, etwa ein Lächeln zu erkennen. Sicherheit finden sie stattdessen in Ritualen, Formen und Fakten.
Im Kino wurde schon immer gerne von extremen Außenseitern erzählt, und so haben Filmemacher vor einigen Jahren auch die Autisten entdeckt.
Dustin Hoffman war in „Rainman“ noch ein romantisierter „heiliger Narr“, aber seit „Mozart und der Wal“ im Jahr 2005 gibt es eine Handvoll von Filmen, in denen zumindest versucht wird, komplexer von Menschen mit dem Asperger-Syndrom zu erzählen. Beeindruckend ist dabei die stilistische Bandbreite. Neben den halbwegs realistischen Dramen „Snow Cake“ und „Ben X“ gab es mit „My Name is Khan“ einen kitschigen Bollywoodschinken und mit „Mary & Max“ einen Animationsfilm.
In dem schwedischen Film mit dem etwas simplen internationalen Titel „Simple Simon“ versucht der 25-jährige Filmemacher Andreas Öhmann, seine Geschichte aus der Perspektive seines am Asperger-Syndrom leidenden Protagonisten zu erzählen. Der 18-jährige Simon lebt in einer Welt voller Zeichen, die er nicht lesen kann. Nur im Weltraum hätte er seine Ruhe und so flüchtet er sich gerne in eine Tonne, die er als seine Raumkapsel versteht.
Das alltägliche Leben interpretiert er als eine Ansammlung von Objekten, die er als eine Anzahl von Formen und Daten katalogisiert und dadurch versteht. Während Simons Erzähl-Stimme dem Zuschauer die Welt aus seiner Sicht erklärt, tauchen auf der Leinwand immer wieder Zahlen, Armaturen, Diagramme und Zifferblätter auf, die dieses ständige Vermessen der Welt verdeutlichen.
Simon kann sich nur in einer streng nach seinen Vorgaben geordneten Welt zurechtfinden. So lebt er nach einem genauen Zeitplan, isst nur runde Nahrungsmittel (er mag Kreise), zieht immer das Gleiche an und will auf keinen Fall von anderen Menschen berührt werden. Nur sein Bruder Sam weiß um all diese Regeln und Rituale, doch der ist gerade mit seiner neuen Freundin zusammengezogen, und als Simon nach einer besonders langen Raumfahrt im Eimer (aus dem ihn schließlich nur Sam herauslocken konnte) bei dem frisch verliebten Paar einzieht, fällt bald der Satz: „Er oder Ich“. Simon weiß schon, warum er keine Dreiecke mag.
Der gutmütige Sam entscheidet sich für seinen Bruder und gegen die Freundin, doch selbst Simon kann erkennen, dass Sam nach der Trennung schwermütig wird und so schließt er mit messerscharfer Logik, dass mit einer neuen Freundin für seinen Bruder alles wieder gut wird. Mit streng wissenschaftlichen Methoden will er Sam verkuppeln und stolpert dabei in immer absurdere Situationen. So entwickelt er einen Fragebogen, um dadurch eine genau passende Partnerin für Sam zu finden und stellt Frauen auf der Straße Fragen wie jene, ob sie lieber Hunde oder Katzen mögen.
Als sein Bruder ihn dann darüber aufklärt, dass sich in menschlichen Beziehungen oft eher Gegensätze anziehen (das Beispiel mit zwei Magneten versteht Simon sofort), dreht er seine Forschungsergebnisse einfach um und entscheidet sich für eine chaotische junge Frau, die nun allerdings (noch ein Dreieck) ihn lieber mag als seinen Bruder.
Leider vertraut Andreas Öhman seinem eigenen Konzept, alles aus der Perspektive von Simon zu erzählen, nicht genug, und so versucht er als eine Art von Sicherheitsnetz möglichst viele Lacher in seinen Film einzubauen. Der ist immer dann komisch, wenn er mit der Diskrepanz zwischen der „Realität“ und Simons Vorstellungen von ihr spielt. Aber es gibt auch derbe Scherze, die vor allem auf Kosten der drei Arbeitskollegen von Simon in einem Gartenbetrieb gehen. Diese werden als ein Haufen von Deppen dargestellt (einer der bedauernswerten Schauspieler muss ständig blöde grinsten und lächerlich durchs Bild stolpern). Diese Sequenzen scheinen zu einem ganz anderen, eher unangenehmen Film zu gehören, denn ihnen fehlt jenes Einfühlungsvermögen, mit dem es dem schwedischen Regisseur Öhman gelingt, zumindest eine Ahnung von den Empfindungen eines Menschen wie Simon zu vermitteln.