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Archiv-Artikel

Schöner Schabernack

PANDROGYNISMUS Genesis P-Orridge und seine Partnerin Lady Jaye versuchten, sich so ähnlich wie möglich zu werden. Die Filmdoku „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ erzählt davon

P-Orridges Gesicht erinnert an Kinski. Er hat sich nie wohl gefühlt in seinem Körper

VON DETLEF KUHLBRODT

Seit Ende der 60er Jahre sorgte der englische Performance-Künstler, Musiker und Schriftsteller Genesis P-Orridge mit aggressiven Performance-Aktionen für viel Skandal. Die Gruppe Coum Transmissions, zu der die Stripperin und Künstlerin Cosey Fanni Tutti und andere gehörten, führten pornografische Extremperformances mit sadomasochistischen Elementen auf.

Man hantierte mit Blut und Exkrementen, kokettierte mit Nazisymbolen, simulierte scheinbare Tötungsrituale vor der Kamera. Eins der berüchtigsten Programme, das Mitte der 70er Jahre in den USA aufgeführt wurde, trug den Namen „Cease to exist“, des Lieds also, das Charles Manson für die Beach Boys geschrieben hatte und das 1968 als B-Seite veröffentlicht worden war. Die nackten Künstler fügten sich mit Injektionsnadeln, Scherben und Rasierklingen blutige Verletzungen auf der Bühne zu, masturbierten, ejakulierten und hängten gebrauchte Tampons in die Kunstinstitution ICA.

Genesis P-Orridges nächstes Projekt – die Anfang der 70er Jahre gegründeten Throbbing Cristle, Wegbereiter und erste Vertreter der Industrial Music – waren auch nicht ohne: Die vier Mitglieder machten Krach mit selbstgebastelten elektronischen Klangerzeugern, besangen Serienmörder in teils okkultistischen Texten etc. Komisch ist daher, wie im Nachhinein, in Marie Losiers preisgekröntem, sehr schönem Film „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“, alles so zivilisiert erscheint und sich in den netten Kunstkontext einfügt, wenn Genesis P-Orridge sich sozusagen zurückerinnert, wie man mit ein bisschen Pornografie im prüden England für Skandal gesorgt hatte.

Der ehemals schmächtige, 1950 als Neil Andrew Megson in Manchester geborene Künstler erzählt, nun etwas füllig in seinem verwandelten Körper, aufgedonnert, im Lederminirock mit einer komischen bunten Badekappe, von früher, von den tollen 60er Jahren und davon, dass er sich bei der Hausarbeit immer vorstelle, vor einem großen Publikum zu agieren. Wenn er oft kindlich, auf schöne Weise albern mit seiner großen Liebe Lady Jaye in großartigen bunten Sachen vor der Kamera posiert und teils slapstickhaften Schabernack treibt, erinnert das an die Soft-Cell-Videos von Derek Jarman, Anfang der 80er – mit dem P-Orridge auch viel zusammenarbeitete.

„The Ballad of Genesis and Lady Jaye“ ist kein Porträtfilm über Genesis P-Orridge, oder wenn, dann eher ein von innen erzähltes Porträt mit perfekt rhythmisierten Super-8-Aufnahmen, Stop-Motion-Sequenzen, nachgestellten Passagen aus der Kindheit des Künstlers, Interviewpassagen, Konzertausschnitten. William S. Burroughs, der eine Weile in London lebte, und Brion Gysin, der Erfinder des Cut-ups, der ständig haschrauchend in Paris arbeitete, tauchen auf. Die Musik erinnert eher an Velvet Underground.

Vor allem geht es aber um die Liebesgeschichte zwischen Genesis P-Orridge und der halb so alten, ehemaligen Domina Lady Jaye, die eine Weile auch bei P-Orridges späterer Band Psychic TV mitspielte und im Oktober 2007 plötzlich an Herzversagen starb. 2000 lernten sich die beiden kennen und entwickelten aus ihrer Liebe ein bizarres Kunstprojekt, bei dem es darum ging, sich mittels zahlreicher chirurgischer Eingriffe – Brustimplantate, Fettabsaugungen, Hautstraffungen usw. – so weit wie möglich aneinander anzugleichen. P-Orridge, dessen Gesicht manchmal an Klaus Kinski erinnert, sagt, er habe sich nie wohl gefühlt in seinem Körper; Lady Jaye möchte als Teil einer der schönsten Liebesgeschichten der Welt erinnert werden. Das „Pandrogynismus“ genannte Projekt bleibt trotzdem undeutlich. Diese Undeutlichkeit ist es aber auch, die den Film so schön gemacht hat.

■ „The Ballad of Genesis and Lady Jaye“. Regie: Marie Losier. USA/F 2011, 72 Min.