: Prostitution
Künstlerin, Wikipedia-Aktivistin, Leiterin des Kunsthauses „Kunstkaserne Berlin“, Moderatorin, ehemals auch Sexdienstleisterin.
Eigentlich wollten wir über Prostitution als Fiktion reden, über Frauen, die gegen Geld eine Rolle spielen. Aber wir geraten immer wieder in aktuelle Fahrwasser wie das Sexkaufverbot aus Schweden, das alle beschäftigt: Was passiert mit Huren, wenn Freier bestraft werden? Juliana* will da einiges klarstellen:
Juliana: Prostitution gibt es überall und in jeder Form. Es gibt etwa auch einen Heiratsmarkt für ältere Frauen, die gewohnt sind, dass Sex nur in einer Beziehung stattfinden kann – sei es als Mum-Porn, Elitepartner, Parship. Das ist eine Form umgekehrter Prostitution. Viele Frauen geben dem Chat-Partner Geld. Auch die Chat-Portale bekommen Geld, damit Frauen Gelegenheit haben, mit angeblich jungen schönen Männern zu sprechen. Sie treffen nie jemanden, aber sie bezahlen Heidensummen für diesen Service. Wenn Männer Prostitution in Anspruch nehmen, gehen sie anders vor, physisch. Die Frauen gehen virtuell heran. Ich sehe das jedoch so: Wenn Geld fließt, ist es Prostitution, denn es geht um Konsum von Sexualität.
Wobei das eine nur in der Vorstellung stattfindet. Ist das nicht ein Riesenunterschied?
Juliana: Pornos finden auch im Kopf statt. Mir geht es darum, ob Geld fließt.
Klara Martens: Im Chat wird doch nur geschrieben.
Juliana: Einige ältere Frauen haben gelernt, dass körperliche Sexualität etwas Schlechtes ist, die suchen sich dann eben einen anderen Weg.
Wer physisch Sex anbietet, muss körperlich präsent sein. Im Netz können Sexdienstleister fünf Leute auf einmal bedienen. Man kann sich auch als jemand anderes ausgeben …
Martens: … ein Freund von mir hat das gemacht, er hat sich im Chat als Frau ausgegeben.
Juliana: Ich würde nicht sagen, dass Prostitution generell Abzocke ist.
Gisela Zohren: Prostitution ist eine Dienstleistung. Chat, das ist Abzocke.
Martens: Ich habe kein Mitleid mit den Männern, die da ausgenommen werden.
Sind für Sie alle Menschen, die Sex kaufen, zu verurteilen?
Martens: Wir hätten gerne ein Sexkaufverbot wie in Schweden.
Was ist mit Frauen, die aus finanzieller Not in die Prostitution gehen? Nimmt man denen damit den Beruf weg?
Martens: Nein. Wir denken, dass die Prostituierten auf keinen Fall bestraft werden sollen. Die sollen machen dürfen, was sie wollen.
Zohren: Also Leute, das geht so nicht. Das ist alles Quatsch.
Juliana: Ich finde es schon richtig, dass Leute sanktioniert werden, die Elend ausnutzen. Aber wenn man mit dem Hammer auf die Kacke haut, erwischt man leider auch die Leute, die nicht unter diesen Problemen leiden. Wenn Freier, wie in Schweden, bestraft werden, lachen sich Menschenhändler doch ins Fäustchen, weil sie davon ausgehen können, dass verängstigte Frauen auf der Straße erst recht nicht auspacken. Das ist das Problem.
Zohren: Das BKA in Schweden sagt, dass es das unsinnigste Gesetz war, das sie je gemacht haben.
Da haben wir anderes gehört.
Zohren: Feministinnen verkaufen das natürlich als unglaublichen Erfolg. Aber in dieser Beziehung traue ich eher der Polizei oder den Sozialverbänden. Die Prostitution ist zwar nicht mehr sichtbar in Schweden, findet aber in Wohnungen statt. Die Frauen sind dort nun auf sich alleine gestellt und brauchen Beschützer.
Ein Freier, der Gefahr läuft, bestraft zu werden, ist gezwungen, ein einvernehmliches Verhältnis mit der Prostituierten einzugehen. Das ermächtigt die Prostituierten.
24, Femen-Aktivistin, studiert Ingenieurswissenschaften, hat als Model auch schon hochgeschlossene Mode präsentiert.
Martens: Ja, der Freier muss nett sein. Sonst läuft er Gefahr, geoutet zu werden.
Juliana: Die Idee ist gut, die Realität anders. Es gibt in der Prostitution verschiedene Schichtungen: Straße, Club, Escort. Das spiegelt die Gesellschaft wider. In Schweden ist nun die Mittelschicht weggebrochen, es gibt nur noch ganz unten und ganz oben, also Straße und Escort. Ich war Oberschicht, als ich in der Prostitution arbeitete, ich stand nie auf der Straße – aber trotzdem bin ich in Schweden an die Polizei verraten worden und konnte nicht mehr einreisen. Jetzt nehmen wir mal an, ich bin eine Romni und muss mich da in Schweden hinstellen. Ich bin da hingeschleppt worden, hatte noch nicht mal eine Fahrkarte. Ich bin abhängig, und um mich herum ist das böse Außen.
Zohren: In Dortmund war es bis zum Zuzug von Rumäninnen und Bulgarinnen ähnlich. Plötzlich standen statt 25 Frauen mehr als 100 auf der Straße und das Elend nahm seinen Lauf.
Juliana: In Schweden sind die guten Männer zu Hause geblieben, jetzt kommen nur noch die schlechten. Wir sollten über ausbeuterische Prostitution sprechen: Früher war es auf der Straße gemischt, es gab auch Studentinnen. Jetzt ist nur noch Elend. Die Frauen, die es sich leisten konnten, sind ins Internet gegangen – und haben ihre Kunden mitgenommen. Es hat also auch eine Entmischung der Kundschaft stattgefunden. Zum Bodensatz kommt nur noch der Bodensatz.
17.55 Uhr: Der Eismann, der in die Tussy Lounge kommt und auf seiner Schulter einen Riesenpack gestoßenes Eis trägt, bringt keine Abkühlung ins Gespräch.
Noch mal zurück zu staatlichem Handeln: Wenn man offiziell Sex ohne Kondom verbietet, hat das Ihrer Meinung nach nur zur Folge, dass Sex ohne Kondom teurer wird?
Juliana: Ja, das wird einfach ein großes Geschäftsfeld.
Zohren: In Hamburg haben die Frauen gejubelt – endlich sind die Frauen weg vom Fenster, die es ohne machen. Eine Kondompflicht lässt sich aber nicht kontrollieren.
Bislang ist es doch nur ein Vorschlag.
Martens: Im Artemis, dem Berliner Großbordell, muss man Französisch ohne Gummi machen, sonst können sich die Freier beschweren. Es ist erlaubt in Deutschland, so was anzuweisen.
Die grundsätzliche Frage war die nach den Nebenwirkungen der Prohibition: Fördert sie die Elendsprostitution?
Martens: Die hat man mit der jetzigen Gesetzgebung auch.
Darum geht es genau: Was nimmt man in Kauf?
Martens: Welche Gesellschaft will man haben, darum geht es. Will man eine Gesellschaft, in der man einen Körper kaufen kann?
Zohren: Man kauft keine Körper, man kauft eine sexuelle Dienstleistung.
Martens: Weil die meisten Prostituierten Frauen sind und die meisten Freier Männer, wirkt man so weiter der Gleichstellung von Mann und Frau entgegen. Ich habe Freunde in Hamburg, die mir genau erklären, wie es läuft: Es gibt Zuhälter, die im Monat 6.000 Euro verdienen und den Frauen 2.000 abgeben.
65, ist Streetworkerin im Arbeitsbereich bordellartige Betriebe bei der Dortmunder Mitternachtsmission.
18.30 Uhr: „Ich könnte nicht im Rock in der U-Bahn sitzen“, ist plötzlich eine Stimme zu vernehmen – aus der Männerrunde, die immer noch tagt. „Klar“ flüstert eine, die bei der Prostitutionsrunde zuhört, „Sexismus ist Alltag“.
Zohren: Es gibt Frauen, die in die Prostitution gezwungen werden. Aber viele entscheiden sich auch freiwillig dafür. Weil man nirgendwo so viel Geld verdienen kann. Die wollen nicht im Amt oder an der Kasse sitzen.
In einer internationalen Studie heißt es aber, dass 96 Prozent der Prostituierten rauswollen aus der Prostitution.
Zohren: Es gibt natürlich Länder, in denen Prostitution geächtet ist, in Rumänien etwa. Prostituierte gelten dort als Schlampen. Die meisten wollen das für zwei Jahre machen, damit sie dort ein Haus kaufen können. Ich kenne viele, die das geschafft haben.
Wie wäre es, wenn Prostituierte ein Zertifikat erwerben müssten, im Sinne einer Ausbildung? Mit Selbstverteidigung, Hygiene, Buchhaltung, Psychologie?
Zohren: Einstiegsberatung zu machen halte ich nicht für verkehrt. Nicht jede Frau ist für die Sexarbeit geeignet. Als Beraterin fahre ich manchmal mit jungen Frauen in die dunklen Ecken und frage, willst du es wirklich machen, wenn du das siehst? Einige sagen dann, ja, macht mir nix aus. Leider haben die Polizeistellen überall eine unterschiedliche Haltung. In Dortmund ist das Klima zwischen Szene und Polizei gut, deshalb gibt es mehr Anzeigen vonseiten der Frauen. Aber wenn die Regierung jetzt die Frauen wieder registrieren will, ist das Vertrauen hin. Außerdem würden die Chancen der ausstiegswilligen Frauen auf einen sogenannten bürgerlichen Beruf damit sinken.
Martens: Es würde doch Sicherheit geben, wenn die Polizei wüsste, in welche Stadt die Frau gerade von ihrem Zuhälter geschickt wurde.
Juliana: Ja, es gibt klassische Zuhälter. Aber da gibt es auch Grauzonen. Freunde, Verwandte, Familien: Es kommen Leute her, die einen Schlepper bezahlen mussten oder neue Zähne brauchten. Da wird dann erst mal investiert.
19.02 Uhr: Um die Gesprächsleidenschaft noch zu befördern, wird die nächste Flasche Sekt geköpft.
Martens: Soll heißen: Wenn ich mir jetzt in Hamburg einen Zuhälter suche, dann geht der mit mir shoppen. Nägel, Haare. Er fragt, ob ich eventuell Brüste will. Und am nächsten Tag stehe ich im Club und arbeite.
Juliana: Da ist dann die Frage, ob du dein Leben lang von ihm abhängig bleibst.
Martens: Ich meine die Loverboy-Kategorie.
„In Schweden sind die guten Männer zu Hause geblieben, jetzt kommen nur noch die schlechten“
JULIANA, EXPROSTITUIERTE
Zohren: Früher nannte man die halt nur nicht so.
Also doch Regulierung?
Martens: Wir sind dagegen, dass Männer daran verdienen, darum geht es. Es gibt kein Recht auf sexuelle Befriedigung, keiner hat das Recht auf Ausübung seiner Sexualität an einem anderen Körper.
Juliana: Warum gibt es kein Recht auf Sex?
19.15 Uhr: Martin Rheinländer von der Männer-Runde verabschiedet sich: „Darf ich dich wieder umarmen?“, fragt er zum Schluss. Das entwaffnet auch die Runde, sie wird milder. Es gibt kein Grundrecht auf Sex, aber man darf Sex haben wollen, befindet sie zum Abschluss.
Unüberhörbar räumt die Frau vom Tresen schon Stühle und Tische in der Tussy Lounge um. Wir packen unsere Jacken, leeren unsere Gläser. Raus ins Dunkle und das Ganze sacken lassen. Es fühlt sich an, als wäre da etwas lockerer geworden: So viele Menschen sind sich einig, dass die Fiktionen über uns Frauen weiter, weicher und bunter werden können, ja irgendwie schon geworden sind.
*vollständiger Name ist der Redaktion bekannt