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Archiv-Artikel

Der Jargon der Modernisierung

Eine Reihe abgehalfterter westeuropäischer Exregierungsmitglieder hat bei einer „Agentur zur Modernisierung der Ukraine“ angeheuert. Die soll die Regierung in Kiew beraten. Wir Österreicher brachen darüber in schallendes Gelächter aus, weil den Vorsitz der Schattenregierung ausgerechnet unser ehemaliger Vizekanzler Michael Spindelegger übernehmen soll. Das ist deshalb witzig, weil man sich kaum ein größeres Gegenteil von Modernisierung vorstellen kann als Spindelegger. Er ist fad bis zum Abwinken, das Bürokratenhafte ist seit jeher seine zweite Natur, sein Leben hat er in der verstaubten Bünde- und Freunderlwirtschaftswelt des Alpenkonservativismus verbracht. „Spindelegger Chef von Modernisierungsagentur“, das ist eine Schlagzeile, die sehr nach Der Postillon oder Titanic klingt.

Bezahlt wird das Ganze von drei zwielichtigen Oligarchen. Einer davon ist in der Wiener Geld- und Bussi-Bussi-Gesellschaft gut vernetzt, aber nur, weil er sich gegen eine Rekordkaution von 125 Millionen Euro auf freiem Fuß befindet.

Auch der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück ist mit an Bord, und das ist schon weniger zum Lachen. Denn im Unterschied zu den anderen Politikern auf der Oligarchenpayroll ist er kein echter Ex – Steinbrück hat immerhin noch ein Bundestagsmandat. Er bekommt aber zusätzlich zu seinen Bundestagsdiäten demnächst auch noch Zuwendungen von zwielichtigen Milliardären aus Osteuropa. Man weiß eigentlich nicht, was man erschütternder finden soll: diese Tatsache oder den Umstand, dass daran kaum jemand etwas auszusetzen hat. Hallo!? Als Politrentner kann man so etwas machen, auch wenn man sich die Reputationsrisiken zweimal überlegen sollte. Aber als Parlamentarier hat man so etwas zu unterlassen. Als Parlamentarier lässt man sich nicht von mächtigen Wirtschaftsbossen bezahlen und schon gar nicht von ausländischen De-facto-Mafiosi. Aber wahrscheinlich bin ich altmodisch und muss mich auch mal von einer Modernisierungsagentur modernisieren lassen.

Der Begriff Modernisierung ist ähnlich wie Fortschritt oder Reform in den letzten Jahrzehnten zu einer nichtssagenden Vokabel geworden. Modernisierung, wie sie sich Steinbrück/Spindelegger-Seite vorstellt, heißt wohl so viel wie: Effizienz von Verwaltung, Investitionssicherheit, ökonomische Innovation, Rechtsstaatlichkeit und Anschluss an den Weltmarkt. Gegen all das ist per se nichts einzuwenden außer, dass es ein sehr technokratisch verengter Begriff von Modernisierung ist. Modernisierung als Anpassung an Wirtschaftssachzwänge und westliches State-of-the-Art-Regieren. Und bei näherer Betrachtung fiele einem wohl auch genug ein, was gegen so einen Modernisierungsbegriff einzuwenden wäre: Nicht selten werden ja bloße wirtschaftsliberale Gesetzesänderungen, die einfach nur die Interessen der Superreichen bedienen, mit dem Begriff Modernisierung geadelt. Man erinnere sich an das „Modernize or die“, das Tony Blair den britischen Gewerkschaften zurief.

Dabei war Modernsein, war die Moderne einmal ein umfassendes Versprechen. Die Moderne, das war das brodelnde, urbane Leben, Lichter der Großstadt, aber auch die Befreiung der Subjekte aus den Fesseln des Hergebrachten, die Überzeugung, die jeweilige junge Generation könne eine ganz neue Welt bauen. Revolution der Stile, Boheme, Gegenkultur, Punk. Diese Moderne war immer ein Kampf, „La querelle des anciens et des modernes“, ein Kampf gegen den Antimodernismus. Auf in neue Zeiten! Eine Zeit lang bedeutete Linkssein, modern zu sein, und umgekehrt: Modern zu sein bedeutete meist, links zu sein. Das schiere Wort modern brachte den pathetischen Wunsch zum Ausdruck, Gegenwart und Zukunft von der Vergangenheit zu separieren. „Il faut être absolument moderne!“ – man muss absolut modern sein (Rimbaud). Größere Wahlmöglichkeiten, aber auch um den Preis der Entwurzelung. Revolutionen in der Kunst, neue Wahrnehmungsformen, contemporary sein. Die Moderne war, wie Susan Sontag es nannte, eine „lebenssprühende Idee“, und das bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein. Modernes Bewusstsein war das Gegenteil der Nostalgie. Es war voller Zukunftsgier.

An dieser Modernitätsidee begann erst die Postmoderne rumzumäkeln, und später blieb von Modernisierung nur mehr der Dünnpfiff, den die Wirtschaftsliberalen so gerne von sich geben: modernes Banking, moderne Märkte, moderner Konsum. Modernisierung als Catchphrase auf den Lippen graugesichtiger Männer, die alle gleich aussehen, die alle die gleichen dunklen, modernen Anzüge tragen und die gleichen dummen Phrasen absondern.

ROBERT MISIK