Der Trompeter will weiter

Der Vater war ein Chef, der Sohn ist eine Diva: Mehr als wie der Teufel in die Füße fahren will die Musik von Boban Marko Marković, nämlich Jazz, wie ein Konzert im Columbia-Club am Samstagabend zeigte

Wer am Samstagabend dachte, die Menschenmassen auf dem Columbiadamm würden zum Konzert des „Boban i Marko Marković Orkestar“ pilgern, hatte sich getäuscht. Zwar hat das Orchester noch vor zwei Jahren mit mehreren Terminen das Kesselhaus füllen können, diesmal aber spielte das wohl bekannteste Blasorchester der Welt im kleinen Columbia-Club, einem ehemaligen Offizierskino. Das Publikum schrumpft Jahr zu Jahr, die Band jedoch wird immer besser.

Marko Marković, gerade einmal 19 Jahre alt, hat, wie vom berühmten Vater versprochen, mit 18 Jahren die Leitung des Boban Marković Orkestar übernehmen dürfen. Begleitet wurde der Wechsel von der Produktion des Films „Guča – Distant Trumpet“, in dem Marko Marković die Hauptrolle des Romeo spielt – einen jungen Rom, der sich in die Serbin Julia verliebt und mit dem weißen Trachten-Orchester ihres Vaters konkurrieren muss. Den Antiziganismus des weltweit größten Blasorchesterfestivals im südserbischen Dorf Guča auf der Leinwand zu thematisieren, ist auch für den Weltstar kein Alltagsgeschäft. Der Film aber hat ein Happyend; „Romeo“ ist einfach der bessere Trompeter.

Zumindest das ist auch in der Realität unbestreitbar. Die Trompetensoli, nun fast ausnahmslos vom jungen Marković gespielt, sind erstklassig – und lang. Die Pausen überbrücken die verschiedensten Schlaginstrumente, die auch immer öfter anstelle der Trompeten den Beat geben. Sie spielen nicht mehr vor allem lateinamerikanische Rhythmen wie noch auf den letzten Platten, sondern werden immer abgehackter und dissonanter. Trotzdem sind es vor allem die von den Schlagzeugen und Trommeln überbrückten Pausen, die das Publikum liebt, weil sie tanzbar sind. Wen wundert es, dass das Orchester heute lieber auf großen Jazzfestivals spielt als im Volksmusik-Eldorado Guča?

Das Set hat bis zum Ende lediglich Zitate aus Traditionals zu bieten, was vor allem das Radio-Multikulti-Publikum mit den Händen in den Hosentaschen herumstehen lässt. Kein Wunder, ist der neue Sound des Boban i Marko Markovič Orkestars tatsächlich ungewöhnlich. Es ist kaum zu glauben, dass das Konzert ohne zusätzliche Technik auskommt, so dicht gedrängt sind Zitate, so schnell erfolgen die Wechsel zwischen Funk, Soul, Jazz und harten Beats.

Ein Belgrader ist ganz aus dem Häuschen. Aufgewachsen mit dem prowestlichen Radio B-92, dem früheren Oppositionssender gegen Milošević, kennt er das in Serbien auf dem Musiklabel des Radios erscheinende Orchester seit seiner Kindheit. Allerdings musste er erst in den USA und jetzt in Deutschland sein, um ein Konzert zu sehen. „So“ hat er es sich nicht vorgestellt.

Wer hätte gedacht, dass die nächste Generation der zum Mainstream gemachten Roma-Folklore sich ausgerechnet in Berlin, das für ständige Wiederholungen besonders dankbar ist, von den ewigen Kusturica-Klischees freizumachen versucht. Zumindest für den Moment. Das Publikum scheint das kaum zu schätzen. Als die Musiker von der Bühne gehen, wird nicht lautstark nach Zugabe verlangt. Ein beachtlicher Teil des Publikums sortierte bereits am Ausgang seine Garderobenmarken, bevor das Orchester überhaupt die Chance hatte, noch einmal aus hervorzutreten.

Der „neue“ Marković ist ein junger Mann, der Folklore zitiert und dabei, begleitet von großen Gesten, mit der Stimme ebenso hohe Töne hervorbringt wie mit der Trompete. Mit weißer Hose, weißen Hosenträgern über dem schwarzen T-Shirt und schwarzen Schnürstiefeln erinnert er eher an einen klassischen Skin. Allerdings mit langem, offen getragenem Haar.

Dass sich Boban Marko Marković nicht davor scheut, seine Stimme in den Hintergrund zu stellen oder sie wie die Turbofolk-Sängerinnen zu modellieren, tröstet ein wenig über den sonst vorherrschenden Machismo eines Blasorchesters hinweg. Der Vater war ein Chef, aber der Sohn ist eine Diva!

Als Zugabe gab es noch einmal das vorherige Stück, in dem die bekannten Klassiker „Bubamara“ und Goran Bregovićs „Kalasnijkov“ einfach zusammengezogen wurden. Das Konzert begann pünktlich um kurz nach acht und endete weit vor elf. Als danach der DJ einen Shantel-Remix „featuring Boban Marković-Orkestar“ intoniert, gehen die Hände des Publikums in die Höhe: endlich tanzen.

SONJA VOGEL