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Archiv-Artikel

Gewerkschaftschefin mit harter Gangart

In Deutschland mag GDL-Boss Manfred Schell derzeit ein umstrittener Gewerkschaftsführer sein. Doch im Vergleich zur Aufregung, die seine finnische Kollegin Jaana Laitinen-Pesola heraufbeschworen hat, ist er ein Waisenknabe. Das sieht man der gutmütigen Fünfzigjährigen mit der schicken blauen Brille gar nicht an, die fast jede Interviewantwort mit einem verbindlichen „nun ja“ einleitet. Dass sie gierig, hart, verantwortungslos, absolut gleichgültig sein und sogar über Leichen gehen soll, waren Attribute, die ihr den letzten Wochen angehängt wurden. Diese Anwürfe hat sie sich so sehr zu Herzen genommen, dass sie ohne Tabletten kaum schlafen konnte. Dieser Tage gestand sie in einem Interview: „Ich habe mich teilweise wie ein Spucknapf gefühlt.“

Dabei macht die gelernte Krankenschwester, die seit 10 Jahren Chefin der Kranken-Pflegegewerkschaft Tehy ist, nur das, wozu die 125.000 KollegInnen sie gewählt haben. Und zu ihren Aufgaben gehört eben auch, einen Streik zu organisieren. Dieser ist unumgänglich, wenn man nach halbjährigem Kampf um eine Lohnerhöhung von 500 Euro mit 40 Euro abgespeist wird. 500 Euro klingt zwar satt, würde aber das Lohnniveau nur auf die rund 2.000 Euro heben, die in Deutschland branchenüblich sind.

Vor den Parlamentswahlen im Frühjahr hatten alle Parteien versprochen, etwas für den Pflegebereich zu tun. Krankenschwestern, Hebammen und Physiotherapeuten hatten das ernst genommen. Sie wollen sich nicht damit abfinden, dass das jetzt alles wieder vergessen sein soll. Zumal in Finnland die öffentlichen Kassen, die den Gesundheitssektor finanzieren, gut gefüllt sind wie nie.

„Aber es scheint etwas Ungeheuerliches zu sein, wenn eine frauendominierte Berufsgruppe mal etwas härter vorgeht“, hat Laitinen-Pesola, keine Linke, sondern seit Jugendzeit Mitglied der konservativen Sammlungspartei, erfahren müssen. Das betrifft nicht die breite Öffentlichkeit. Zwei Drittel zeigen Verständnis für den Arbeitskampf von Tehy. Anders reagiert die Politik. Eine Parlamentsmehrheit hat am letzten Freitag in einem Eilverfahren das Streikrecht der Krankenschwestern mit einem Zwangsarbeitsgesetz außer Kraft gesetzt. Ein Streikverbot, wie es in Finnland möglich ist, wenn gesellschaftswichtige Funktionen bedroht sind, hatte Tehy dadurch umgangen, dass 12.800 ihrer Mitglieder vor einigen Wochen fristgerecht ab Montagmitternacht kollektiv gekündigt hatten.

Nun sollen sie trotz Kündigung zur Arbeit gezwungen werden können. Sonst drohen Bußgelder. „Nun ja“, sagt die Gewerkschaftschefin, „die bezahlen wir. Und das stehen wir durch.“ REINHARD WOLFF