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Archiv-Artikel

Politik als Geschäft

Die staatseigene Deutsche Bahn sponsert mit viel Geld die Parteien der Bundesrepublik. Sie belohnt das Entgegenkommen von Politikern auch direkt mit lukrativen Posten – Politik als Geschäft. Ein Phänomen, das sich nicht auf die Bahn beschränkt, schreibt Mathew D. Rose, der sich in seiner journalistischen Arbeit auf die Korruption konzentriert

von Mathew D. Rose

Besuchern des jüngsten CDU-Parteitags in Leipzig ist sicher der unübersehbare Stand der Deutschen Bahn aufgefallen. Der Staatsbetrieb Bahn AG ist fester Bestandteil des Parteiensponsorings der Bundesrepublik. Er ist regelmäßig bei solchen Parteitagen mit seinen Ständen dabei – interessanterweise nicht bei den Linken. Wer die Parteizeitschriften von CDU, CSU, FDP, SPD oder den Grünen liest, wird ebenfalls großen Anzeigen der Bahn begegnen. Das alles spült Geld, viel Geld – die Summe will die Deutsche Bahn nicht preisgeben – in die Kassen der politischen Parteien, mit Ausnahme der der Linken.

Selbst die grün-rote Landesregierung Baden-Württembergs hatte offensichtlich keine Bedenken, ihr Sommerfest in Berlin im vergangenen Juli durch die Deutsche Bahn mitfinanzieren zu lassen. Wenn es um Sponsorengelder für ihre Partys geht, sind die meisten Politiker der Bundesrepublik keinesfalls ideologisch gestimmt.

Doch die Deutsche Bahn kanalisiert ihr Geld auch gleich direkt in die Taschen von Politikern. Viele Politiker erhielten in jüngster Zeit Stellen bei der Bahn. Ich behaupte, dass es um sogenannte Quidproquo-Geschäfte ging: eine gut bezahlte Stelle bei der Bahn im Gegenzug für Leistungen zugunsten der Bahn. Ein typischer Fall ist jener des ehemaligen CSU-Staatsministers Otto Wiesheu.

Wiesheu handelte im September 2003 als bayerischer Staatsminister für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie mit der Deutschen Bahn einen für das Staatsunternehmen vorteilhaften Regionalverkehrsvertrag mit einer Laufzeit von zehn Jahren aus. Bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD im Herbst 2005 leitete Wiesheu die Arbeitsgruppe Verkehrspolitik und setzte sich angeblich nachdrücklich für die Bahnprivatisierung ein. In dieser Zeit wurde überdies unter seiner Ägide der Auftrag für die ertragreiche Regionalstrecke München–Nürnberg ohne Ausschreibung an die Deutsche Bahn AG vergeben.

Unmittelbar danach legte Wiesheu sein Ministeramt und sein Abgeordnetenmandat im Landtag nieder, um bereits im Januar 2006 Vorstandsmitglied der Deutschen Bahn zu werden. Sein Jahresgehalt betrug zwischen 1 und 1,6 Millionen Euro. Als der Datenskandal der Bahn im Jahr 2009 ans Licht kam, musste Wiesheu seine Stelle aufgeben. Der Abgang wurde von der Bahn mit 2,4 Millionen Euro belohnt.

Der heutige Cheflobbyist – offiziell „politischer Beauftragter“ – der Bahn ist ein CDU-Politiker aus Baden-Württemberg, Georg Brunnhuber. Er war sowohl langjähriger Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Ausschuss für Verkehr als auch Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn zwischen 2006 und 2010 (seine Jahresvergütung pendelte zwischen 20.000 und 35.000 Euro). Während seiner politischen Laufbahn galt er als einer der stärksten Befürworter der Privatisierung der Bahn, loyaler Diener des früheren Bahnchefs Hartmut Mehdorn, aber auch als Unterstützer von Stuttgart 21.

Fragwürdige Projekte im Interesse der Politik

Die Großzügigkeit der Deutschen Bahn gegenüber der Politik geht auf Kosten der Fahrgäste. Während der hundertprozentige Staatsbetrieb Deutsche Bahn Millionen für Parteikassen und Politiker übrig hat, müssen sich seine Fahrgäste an stets steigende Fahrkartenpreise, schlechten Service und ständige Havarien infolge des Fehlens von Investitionen gewöhnen.

Doch die Beziehung zwischen Deutscher Bahn und Politik besteht aus einem Geben und Nehmen. Während die Politik die Privatisierung oder fragwürdige internationale Expansionspläne der Bahn unterstützt, realisiert die Bahn fragwürdige Projekte im Interesse der Politik, wie Stuttgart 21, womit die Politik andere „Kunden“ bedienen kann.

Dieses Phänomen ist nicht nur auf den Staatsbetrieb Deutsche Bahn begrenzt, sondern zieht sich durch die gesamte deutschen Wirtschaft: RWE, Eon, Vattenfall, EnBW, Deutsche Bank, Bayer, BMW, Daimler, Volkswagen – um nur ein paar zu erwähnen. Es fließt jährlich eine dreistellige Millionensumme von der Wirtschaft an politische Parteien und ihre Kader in Form von Spenden, Sponsoring und gut bezahlten Stellen.

Kein Wunder. Die politischen Parteien der Bundesrepublik haben sich in den letzten Jahren zunehmend gewandelt. Es geht ihnen heute nicht mehr um die Gestaltung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse im Sinne eines Gemeinwohls, sondern sie sind ein Wirtschaftszweig geworden, eine gewinnorientierte Dienstleistung, die einen Service anbietet: die Umsetzung von Partikularinteressen in Gesetze. Im Angebot sind Förderungen, Subventionen, Steuerbegünstigungen, öffentliche Aufträge und wirtschaftlich vorteilhafte Bestimmungen.

Nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten westlichen Nationen ist Demokratie zur Ware geworden, geregelt durch Angebot und Nachfrage. Die Meistbietenden scheinen immer die Unternehmen und Wohlhabenden zu sein. Die Bürger der Bundesrepublik mussten dagegen zuschauen, als die Mehrwertsteuer für die Hotellerie nach massiven Spenden aus der Branche an die CSU und vor allem die FDP reduziert wurde. Der erstaunliche Aspekt der Transaktion war nicht die Tat selber – solche Geschäfte gehören zum deutschen politischen Alltag –, sondern die Offenheit, mit der das Geschäft abgewickelt wurde. Es folgte kurz danach die nächste Transaktion: der Ausstieg aus dem Ausstieg. Den für die politische Klasse wichtigen Handelspartnern, den deutschen Energieversorgern, sollten Zusatzgewinne in Milliardenhöhe ermöglicht werden. Dann kam Fukushima.

Die Regierungsparteien haben die Wähler zuletzt so sehr verprellt, dass diese die Gefolgschaft verweigerten und andere Parteien wählten, wie kürzlich bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg oder in Berlin. Stimmverlust und Machtverlust aber bedeuten Umsatzverlust. Dieses Axiom wurde bei der Kehrtwende von Union und FDP durch ihre Atompolitik belegt. Jetzt allerdings müssen sie einen Weg finden, den öffentlichen Geldfluss, die Subventionen an ihre Klientel, die Energieversorger, wiederherzustellen.

Es geht den Politikunternehmen der Bundesrepublik mit ihrem Geschäftsmodell blendend. Trotz der Finanzkrise, trotz massiver Mitgliederverluste, trotz sinkender Wahlbeteiligung verbuchen sie jährlich Umsatzsteigerungen. Dass das Volk zunehmend der Parteiendemokratie den Rücken zuwendet und nicht wählt, stört die politische Klasse nicht; wichtiger sind die steigenden Einkünfte über Spenden, Sponsoring und gut bezahlte Arbeitsstellen. Es geht um strukturelle Korruption. Die Konsequenzen dessen kann man heute in Griechenland betrachten.

Doch das, wovor die politische Klasse sich am meisten fürchtet, ist, wenn sich das Volk in ihr Geschäft in Form der Ausübung seiner demokratischen Rechte einmischt. Dann greift die Politik auf das einzige Argument zurück, das ihr übrigbleibt: Gewalt. Die Szenen, als der Schlossgarten in Stuttgart geräumt wurde, hatten mehr mit Myanmar, Weißrussland oder China gemeinsam als mit einer Demokratie. Das waren keine Szenen, auf die ein zivilisiertes Land stolz sein kann.

Es sind jedoch nicht allein die politischen Parteien Deutschlands, die sich transformiert haben. Es entstand ein neuer Dienstleistungsbereich, der an der Vermarktung der Demokratie mitverdienen will. Neu haben sich in das Heer der politischen Klasse eingereiht: Lobbyisten jedweder Provenienz, Berater, Public-Relations-Experten, Anwälte, Wissenschaftler, Medienmanager und Journalisten. Diese neue politische Klasse bildet ein Netzwerk von Menschen, die von einem Bereich in den anderen wechseln können. In dem neu entstandenen politischen Wirtschaftskreislauf kann man in allen Bereichen gleichermaßen gute Erträge erwirtschaften.

Die Medien spielen eine entscheidende Rolle in dieser Welt der Politik als Big Business. Sie üben kaum noch eine Kontrollfunktion im Sinne der Demokratie über die Politik aus, da sie selbst Teil des Herrschaftssystems sind. Viele Mitglieder der Medien sind sogar führende Mitglieder der politischen Klasse, einige außerordentlich mächtig – wie etwa Silvio Berlusconi, Rupert Murdoch oder die Springer-Presse und Bertelsmann in der Bundesrepublik. Sie betrachten die Medien, ihre Medien, keinesfalls als Teil eines demokratischen Prozesses, sondern als Garant der bestehenden Machtverhältnisse, die ihnen Einfluss und Reichtum sichern. Es ist kein Wunder, dass Andersdenkende, die sich für ein Gemeinwohl, soziale Gerechtigkeit und Demokratie einsetzen, von den meisten Medien als Gutmenschen und Wutbürger verunglimpft werden.

S-21-Gegner haben bereits einen wichtigen Sieg errungen

Es ist relativ egal, wie die Volksabstimmung über Stuttgart 21 ausgeht, auch wenn eine Niederlage für die Gegner des Projekts schmerzlich sein wird. Wie der englische politische Aktivist des 18. Jahrhunderts, Thomas Paine, bemerkte: „Das langjährige Hinnehmen eines Unrechts gibt ihm den oberflächlichen Anschein, Recht zu sein – und führt im ersten Moment zu einem lauten Aufschrei, um das Gewohnte zu verteidigen.“

Dagegen haben die Stuttgart-21-Gegner jedoch schon einen wichtigen Sieg errungen, indem sie Baden-Württemberg eigenhändig ins politische 21. Jahrhundert geführt haben. Weg von der autoritären Parteiendemokratie, in der man alle fünf Jahre für eine Partei stimmen durfte, hin zu einer Demokratie, in der das Volk seine Wünsche artikuliert und selbst vertritt. Weitaus wichtiger als die Volksabstimmung ist, was gesellschaftlich und politisch danach passiert. Die Gesellschaften Europas werden ihre Demokratien zurückerobern müssen. Und die Gegner von S 21 sind mit gutem Beispiel vorangegangen.

Mathew D. Rose, geboren 1954 in New York, ist studierter Historiker und arbeitet seit vielen Jahren als investigativer Journalist in Deutschland. Er hat in „Spiegel“, „Handelsblatt“ und „Manager Magazin“ veröffentlicht und mehrere Bücher geschrieben. Zuletzt „Korrupt? Wie unsere Politiker und Parteien sich bereichern – und uns verkaufen“, jetzt im Herbst bei Heyne erschienen.