: Braver kleiner Stalin
Sie wirken gefällig, milde, müde: „Russenbilder“ hat Georg Baselitz seine, derzeit in den Hamburger Deichtorhallen präsentierten, Gemälde genannt, die sich als Reflexion des Sozialistischen Realismus seiner DDR-Jugend verstehen. Doch genau das leisten die fast folkloristischen Gemälde nicht
VON PETRA SCHELLEN
Ja, er ist milde geworden: Man spürt sie kaum noch, die Power des einstigen Enfant terribles, wenn man die hauchzarten Bilder des Georg Baselitz in den Hamburger Deichtorhallen betrachtet. Der Titel der neuen, exklusiv in Deutschland präsentierten Ausstellung: „Die Russenbilder“. Den trägt sie völlig zu Recht, hat der fast 70-jährige Künstler doch zwischen 1998 und 2002 jene Bildmotive erneut auf Leinwand gebannt, die ihn während seiner Jugend in der DDR prägten: Stalin, Lenin, kirgisische Bäuerinnen – kurz: Motive, vor denen damals Schulbücher und Zeitschriften strotzten, war der Sozialistische Realismus russischer Prägung dort doch seit 1949 verbindliche Doktrin.
1957 hat sich Baselitz an der Kunsthochschule in Ostberlin dann aber unbotmäßig aufgeführt und in den Ferien nicht mit Arbeitern in einer Fabrik gemalt, sondern an der Hochschule und wie Picasso. Einen Verweis gab das damals, woraufhin Baselitz 1958 nach Westberlin übersiedelte.
Ein paar Schuldgefühle, weil er sich einfach davon machte, hat er wohl gehabt. Die Verarbeitung kam viel später: 50 Jahre hat der Künstler gebraucht, um zu den sozialistischen Bildmotiven zurückzukehren. Nicht zufällig sind die „Russenbilder“ auch in zeitlicher Nähe zu seinen „Remix“-Bildern entstanden, in denen er eigene frühere Motive wieder aufgreift.
Jetzt hat er sie also dem Publikum entgegengeschleudert, seine fast 60 großformatigen, wie üblich auf den Kopf gestellten „Russenbilder“, die teils expressiv pointillistisch, meist aber weich in Stil und Farbgebung daher kommen. Man würde sie gern als politische Abrechnung mit Motiven einer Diktatur deuten, die auch künstlerisch keine Abweichung zuließ. Man mag dies auch zunächst vermuten, lernte Baselitz doch bei Walter Womacka, einem der zentralen Vertreter des Sozialistischen Realismus in der DDR.
Doch bei genauerem Hinsehen bieten die in Hamburg gezeigten Arbeiten – abgesehen vom Motiv – kaum Hinweise auf einen solch kritischen Blick auf das eigene Erbe. Natürlich: Baselitz hat die Propagandabilder zerlegt, hat mit ihnen gespielt, hat eine im Original „Tochter Sowjetkirgisiens“ auch schon mal ausgezogen und als Akt dargestellt – eine Gattung, die der Sozialistische Realismus streng verbot.
Auch hat Baselitz eine ganze Serie – die „Lochbilder“ – mit runden weißen Flächen ausgestattet, die ursprünglich von den dort abgestellten Farbtöpfen rührten. Für Baselitz eine willkommene Anspielung auf die Rasterpunkte der Pop Art. Ein zweifellos interessanter Ansatz.
Und doch wird man den Verdacht nicht los, dass sich da einer vor allem an seiner persönlichen Vergangenheit abarbeitet. An seinen Vorbildern, die ihn wider Willen prägten und denen er es noch mal so richtig zeigen will. Denn eins ist sicher: Diese geradezu obsessive Schau zeugt von keinerlei Emanzipation von den alten Themen. Sie demonstriert im Gegenteil, dass da einer eben nicht loskommt von den optischen Eindrücken seiner Jugend, die inzwischen zum Trauma wurden.
Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden, wenn man auch angesichts der Wiederholung in den Deichtorhallen irgendwann ermüdet. Bedenklich stimmt aber der fast sentimentale Duktus, mit dem Baselitz sich dem Stoff nähert: Da wird ein Pärchen mit fast chinoiserie-haften gefälligen Strichelungen versehen. Den „Russentanz“ umrandet eine Art Bordüre.
Gefällig wirken diese Werke, die keinerlei Abstand zum Gegenstand erkennen lassen und eher verklären, als zu ironisieren. Fast werden diese Bilder selbst zur jener Folklore, die der Sozialistische Realismus wider Willen war – und zum Insignium eines Malers, der inzwischen müde, manchmal leicht frivol auf das Gewesene schaut. Auch Lenin und Stalin hat er gemalt – obwohl er lange glaubte, den Massenmörder niemals abbilden zu können. Irgendwann hat er es, angeregt durch Picassos Stalin-Bild von 1953, doch getan. Auf einem seinem fast verhuscht gepinselten Bild sitzt der Diktator klein und kompakt in einem freundlich runden Medaillon.
Ja, Baselitz hat ihn überwunden, den verhassten Diktator. Er hat ihn mit den Mitteln der Kunst besiegt und sich alles von der Seele gemalt. Geschichte neu zu schreiben, auch Kunstgeschichte – das ist Baselitz allerdings nicht gelungen. Dafür suggerieren die „Russenbilder“ allzu deutlich, dass da jemand auf einen Zug aufspringen wollte, der schon länger fährt: der des neuen Hype des Sozialistischen Realismus und seiner Adepten. Denn Künstler wie Werner Tübke stehen hoch im Kurs – insbesondere bei dem in diesem Punkt bewusst unpolitischen Westen, der das Regime, das diese Kunst propagierte, ja nicht erleiden musste.
Es ist Baselitz unbenommen, sich da mit seiner Version einzureihen. Fraglich ist allerdings, wer im Westen die sozialrealistische Propagandamotive wie den „Lenin auf der Tribüne“, auf die Baselitz zurückgriff, überhaupt kennt und die Verfremdung würdigen kann. Andererseits ist ungewiss, ob etwa die Opfer des DDR-Regimes solche Werke überhaupt sehen wollten, wenn Baselitz sie in Cottbus ausstellten würde. Bei Tätern und Mitläufern wiederum könnten die adretten „Russenbilder“ ohne weiteres einen sentimentalen DDR-Hype auslösen.
Bei Lichte betrachtet, schlägt Baselitz also mehrere Fliegen mit einer Klappe: Er wird mit seinen malerischen Niedlichkeiten den unbedarften Wessi ebenso begeistern wie den Ex-Funktionär der realsozialistischen DDR – wobei Letzterer allerdings mangels Geldes eher nicht als Käufer solcher Bilder in Frage kommt.
Doch auch wenn man von finanziellen Erwägungen absieht: Zur Aufarbeitung von Geschichte trägt Baselitz mit diesen nicht einmal karikaturesken Bildern nichts bei. Zur Auseinandersetzung mit der Prägung, die der Sozialistische Realismus für eine Künstlergeneration bot, trägt wiederum die Hamburger Ausstellung nichts bei. Denn hierfür hätte sie die russischen Originale zwecks Vergleichs daneben hängen müssen. Die sind aber nur winzig und vereinzelt im Katalog abgebildet. Diese Schau ist leider Stückwerk geblieben.
Bis 3. 2. 2008, Deichtorhallen, Hamburg