: „Überall ist Home-Schooling erlaubt“
„Wir gehen ins Ausland“, mit dieser Ankündigung haben Bremer Home-Schooler auf ein Urteil des BGH reagiert. Ihnen droht der Entzug des Sorgerechts. In Dänemark, Holland und Österreich ist erlaubt, was in Deutschland höchstrichterlich verfolgt wird
„Schulverweigerer“ werden sie gewöhnlich genannt, „Home-Schooler“ nennen sie sich selbst: Eltern, die ihre Kinder zu Hause bilden wollen. Dass ihnen auf Antrag der Bremer Schulbehörde die Konten gepfändet wurden und sie Hartz IV beantragen mussten, das haben die Bremer Schulverweigerer-Eltern Neubronner noch hingenommen. Als jedoch am Freitag nach einem BGH-Urteil in einem anderen Fall der Entzug des Sorgerechts drohte, zog die Bremer Familie die Notbremse und erklärte, sie werde nun ins Ausland gehen. KW
Interview von KLAUS WOLSCHNER
taz: Moritz, wie war es heute Morgen in der Schule?
Moritz Neubronner: Nicht so schlimm, wie ich erwartet habe.
Was habt ihr gemacht?
Sport, Grammatik.
In welches Schuljahr bist du einsortiert worden?
In die fünfte Klasse.
Und? War das schwer?
Nein. Die Lehrerin hat gesagt, dass ich einer der besten Schüler da wäre. Das ermutigt mich natürlich.
Und? Gehst du morgen wieder in die Schule?
Ja. In den nächsten Wochen werde ich das machen. Meine Eltern haben schon eine Anzeige geschaltet, dass wir unser Haus verkaufen. Ich lerne lieber zu Hause, auch wenn wir dafür ins Ausland gehen müssen.
Erklärt dir deine Mutter alles oder macht ihr das mit Büchern und Internet?
Wenn uns etwas interessiert, zum Beispiel wie die Zentrifugalkraft funktioniert, dann fragen wir und wenn sie das nicht wissen, dann gucken wir im Internet oder im Lexikon nach.
Und Englisch?
Dafür habe ich ein Computerprogramm.
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Herr Neubronner, Sie haben heute früh Ihre Kinder zur Schule gebracht. Warum
Tilman Neubronner: Wir haben am Sonntag mit ihnen über die neue Lage gesprochen. Es ist ja nicht so, dass unsere Kinder mit uns machen, was sie wollen.
Was war die neue Lage?
Der Bundesgerichtshof hat im Fall einer anderen Familie entschieden, dass Schulverweigerung einen Missbrauch des elterlichen Sorgerechts darstellt und dass den Eltern das Sorgerecht zu entziehen ist.
Und da haben Sie Angst bekommen?
Das ist ein Risiko, das wir nicht eingehen können. Die Sperrung unserer Konten ist dagegen ein begrenztes Risiko. Wir werden in ein benachbartes EU-Land umziehen, aber so lange wir diesem deutschen Recht unterliegen, müssen die Kinder zur Schule gehen.
Österreich, Dänemark oder Holland?
Wir wollen uns da nicht festlegen. Österreich hat eine große Priorität, es ist ein deutschsprachiges Land und wir lieben die Berge. Für uns kommen alle europäischen Länder in Frage, überall ist Home-Schooling erlaubt.
Haben Sie Kontakt zu deutschen Familien, die vor Ihnen den Weg der Auswanderung gegangen sind?
Ja, wir kennen viele. Die meisten wollten bisher damit nicht groß an die Öffentlichkeit gehen. Wir kennen auch einige, die ganz konkret in den Vorbereitungen stecken, zu gehen.
Ist diese Grundschule in Bremen-Nord wirklich so schlimm, dass man auswandern muss?
Nein. die Grundschule ist überhaupt nicht schlimm. Die Kinder wollen zu Hause lernen. Wenn ich sage, ich esse am liebsten zu Hause, dann heißt das ja nicht, dass der Italiener an der Ecke schlecht kocht.
Es wird auch den beiden Neubronner-Kindern passieren, dass sie in die Pubertät kommen und ein paar Meter Abstand brauchen.
TILMAN NEUBRONNER, 53, Vater von Moritz (10) und Thomas (8), ist gelernter Lehrer. Er betreibt mit seiner Frau DAGMAR den kleinen Genius-Verlag. Seine Vergangenheit ist eher links, heute streitet er für Familie und Freiheit.
Das nehme ich an. Dann sollen sie sich den Abstand suchen.
Haben die Kinder dann die Chance, zu sagen: Dann wollen wir doch lieber in die Schule als jeden Tag zehn Stunden zu Hause bei Mama zu lernen?
Natürlich. Jederzeit. Sie können jederzeit in die Schule gehen. Wir sind doch nicht grundsätzliche Schulgegner. Wir haben uns in Bayern jahrelang für die Gründung einer Alternativschule engagiert, die Bezirksregierung Oberschwaben hat unsere Alternativschule genehmigt.
Die Schulbehörde sagt, Kinder müssen auch lernen, in sozialen Zusammenhängen zurecht zu kommen.
Gibt es einen Beleg dafür? Wir kennen nur Studien, die nachweisen, dass Kinder, die zu Hause sozialisiert worden sind, später die „besseren“ Bürger sind, sich mehr ehrenamtlich engagieren, häufiger wählen gehen. Und in ganz überwältigender Anzahl wollen sie ihre Kinder auch zu Hause bilden. Wenn jemand eine Studie kennt, die Befürchtungen, die allgemein immer wieder geäußert werden, anhand der Erfahrungen aller möglichen europäischen Länder und den USA belegt, dann her damit. Das würde mich interessieren.
Was machen Sie, wenn die Kinder 17 sind und das lernen wollen, was man für das Abitur braucht?
Wenn sie das wollen, dann sollen sie das lernen.
Zu Hause?
Wo auch immer. Wo sie die Möglichkeit finden. Seit Jahrzehnten wird das überall erfolgreich praktiziert. Ich weiß heute nicht, ob meine Kinder Latein lernen wollen. Ob sie sagen, ich gehe in einen Kurs, oder ob sie das mit klassischen Schulbüchern oder mit Internet-Programmen lernen wollen. Die Möglichkeiten sind heute größer als je zuvor.
Wie lange wird Deutschland noch die Sonderrolle in der EU durchhalten?
Wir lachen in drei Jahren darüber, sagt meine Frau. Es kommt darauf an, ob wir es schaffen, bis vor den europäischen Gerichtshof zu kommen. Der UN-Sonderberichterstatter für Bildung, Vernor Muñoz, hat ganz deutlich in seinen Bericht geschrieben, dass außerschulische Bildungsmöglichkeiten fehlen in Deutschland – für einzelne Fälle, wie er sagt.