: Immer wieder falsche Spuren
SZENARIO Handys namens Minsk und der erste Volkspolizist, der gegen die Staatssicherheit ermittelt: In „Plan D“ lässt Simon Urban die untergegangene DDR in einem Krimi wiederauferstehen
VON ELKE ECKERT
Simon Urban, im Brotberuf Texter bei der Werbeagentur Jung von Matt, hat mit „Plan D“ eine neu Art von DDR-Roman geschrieben. Er spielt mit einer Variante, die sich manch einer im Osten, aber auch im Westen gewünscht hätte: Die DDR bleibt ein eigener Staat. 1990 wird bei ihm zum Jahr der „Wiederbelebung“, nicht der Wiedervereinigung. Die Mauer wurde, so Urbans Szenario, allerdings gleich wieder geschlossen, weil zu viele rübergemacht haben. DDR und Bundesrepublik sind in wirtschaftlicher Abhängigkeit zueinander in Hassliebe verbunden.
Aber die Zeit ist dann auch im Osten nicht völlig stehen geblieben. Die Handys heißen „Minsk“ und sind ein Exportschlager in den Westen, die Autos heißen „Phobos“ und werden mit stinkendem Frittierfett betrieben. Ostberlin jedoch hat sich kein bisschen verändert, der Palast der Republik steht immer noch. Diese von Simon Urban sorgfältig ausgemalte DDR wirkt glaubhaft, die Szenerie in ihrer Trostlosigkeit realistisch und zugleich erdrückend.
In diesen Rahmen setzt Urban eine Krimihandlung. An einer Berliner Gaspipeline, in der russisches Gas ins kapitalistische Westdeutschland transportiert wird, wird im Oktober 2011 ein Mann erhängt aufgefunden. Die Art der Hinrichtung lässt auf einen Racheakt der Stasi schließen; doch die soll eigentlich 1989 in ihren alten Strukturen zerschlagen und völlig neu geordnet worden sein.
Martin Wegener, Kripo Köpenick, ein einfacher Hauptmann der Volkspolizei, übernimmt den Fall – in der Annahme, dass er ihm schnell von höherer Stelle entzogen wird. Doch in Kürze werden wirtschaftliche Verhandlungen zwischen den deutschen Staaten stattfinden, und so besteht der große Bruder im Westen als Bedingung für die kommenden Verhandlungen auf rigoroser Aufklärung des Falles. Wegener muss mit dem Kollegen Richard Brendel ermitteln, Chef einer Westberliner Sondereinheit. Die Stasi als Hauptverdächtige gibt sich siegesgewiss: „Sie sind der erste Volkspolizist in der Geschichte der Deutschen Demokratischen Republik, der gegen die Staatssicherheit ermittelt. Aber, und das mag am Ende Ihr persönlicher Wermutstropfen sein – nicht der erste, der erfolgreich gegen die Staatssicherheit ermittelt.“
Urban schickt seinen Hauptmann desillusioniert durch das marode Ostberlin, an der Seite der von ihm bewunderte, gut aussehende Westkommissar. Sie finden mauernde Stasi-Schergen, eine Ost-Guerilla-Truppe, die sich mit einem Anschlag auf den Palast der Republik maximale Aufmerksamkeit verschafft und so auch in das Visier der Ermittler gerät. Immer wieder falsche Spuren. Wegener schleppt sich durch die fahle Realität, landet im allergeheimsten Stasi-Gefängnis, trifft sich mit einem Doppelagenten auf einem riesigem Trabant-Friedhof und versucht der Realität mit seinen Sexfantasien mit der Ex zu entfliehen.
Und zwischendurch stellt Urban sein Können als Werbetexter zur Schau, erfindet die Bionier-Brause und zynische Slogans für die DDR-Handys („Jetzt haben Sie Redefreiheit“). Phasenweise wirkt der Roman, als sei er geradewegs als Drehbuch geschrieben worden für Wolfgang Becker à la „Good bye, Lenin“: So treffen Wegener und Brendel die geheim gehaltene Tochter des Mordopfers an der Ostsee – sie bestellt sie nackt an den Strand, um sicherzugehen, dass sie nicht abgehört werden.
Das alles ergibt einen lustigen und spannenden Roman, nur mit ein paar blöden Längen zwischendurch, in denen Wegener sich in Selbstgesprächen mit dem auf mysteriöse Weise verschwundenen Freund Früchtl über seinen angestauten Frust über den Staat und den mangelnden Schlag bei den Frauen unterhält. Aber es gibt Einfälle, dafür liebt man diesen Roman: Der Ost-Bulle muss für seine Ermittlungen auch in das Elite-Seniorenheim der Stadt. Seine Zeugin wohnt direkt neben Margot Honecker, die – altersverwirrt oder geläutert – inzwischen einen Hass auf die Stasi hegt und den ganzen Tag lautstark Wolf Biermann hört und mitsingt.
■ Simon Urban: „Plan D“. Schöffling, Frankfurt am Main 2011, 552 Seiten, 24,95 Euro