: Konspiratives am Grabbeltisch
Das Bamberger Haus hat wieder ein historisches Gedächtnis: Symbolträchtig hat die Werkstatt Westend die Fluchttreppe zum Raum einer Ausstellung über die Geschichte der Immobilie gemacht
von HENNING BLEYL
20 mal 220 Zentimeter ist keine imposante Ausstellungsfläche. Multipliziert mit 40 Metern ergibt sich immerhin ein gewisses Volumen, und was das Team der Kulturwerkstatt „Westend“ mit diesem seltsamen Raumgebilde macht, ist beeindruckend: Eine inhaltlich sehr vielschichtige und ästhetisch ansprechende Ausstellung über das Leben von Julius Bamberger. Sie hängt im Treppenauge des wiederaufgebauten Turms des ehemaligen Kaufhauses in der Faulenstraße, in dem jetzt die Volkshochschule ihren Sitz hat.
Wer die – bescheidenen – Anfänge des Kaufhauses nachvollziehen möchte, das vor genau hundert Jahren auf zwei gemieteten Etagen seinen Betrieb aufnahm, fährt zunächst mit dem Fahrstuhl in das neunte Stockwerk. Von dort aus kann man Bambergers Leben in absteigenden Spiralen umkreisen. 200 Meter Drahtseil fungieren als „Lebenslinien“, an denen Texte und Fotos befestigt sind. Zunächst verlaufen sie gradlinig, um sich dann – das Treppenauge wird breiter, die Lebensumstände verworrener – zunehmend zu vernetzen. „Sie beginnen zu tanzen“, wie Gestalterin Silke Nachtigahl sagt. Eine ebenso praktische wie konzeptionell kluge Raumnutzung.
Bambergers Leben ist dank einer Biografie von Günther Rohdenburg, der lange im Bremer Staatsarchiv arbeitete, einigermaßen erforscht, die Medienwerkstatt des „Westend“ und Radio Bremen haben filmische Dokumentationen erarbeitet. Trotzdem gelang es den Ausstellunsgmacherinnen Ulrike Osten und Caroline Schemmel, bislang unbekanntes Material zusammenzutragen – sowohl auf anekdotischer als auch auf allgemein relevanter Ebene. Aus den USA meldete sich etwa ein heute 96-Jähriger, der vom täglichen Frühsport-Angebot auf der Dachterrasse berichtet. Eine Bremerin erinnert sich, als Kind bei seltsamen Begegnungen am Grabbeltisch dabei gewesen zu sein: Nach den ersten Verhaftungswellen fanden dort bis Mitte der 30er Jahre konspirative Gespräche statt. Das „Bamberger“ lag mitten in einem tendenziell widerständigen Arbeiterquartier. 1937 wurde das Kaufhaus enteignet, Rudolf Heß, der „Führer-Stellvertreter“, verhinderte höchstpersönlich den von Bamberger gerade noch eingefädelten Verkauf, mit dem dieser der Zwangs-„Arisierung“ zu entgehen versuchte.
Dass es sich bei dem „Ausstellungsraum“ um eine Fluchttreppe handelt, passt also zum Thema. Jedes Stockwerk enthält weitere Puzzlesteine – und kleine Überraschungen. Man erfährt etwa, dass Walter Geerdes, der erste offizielle Intendant von Radio Bremen, anschließend in gleicher Funktion bei Sender Freies Berlin, als Privatsekretär Bambergers arbeitete und dessen Werbeleiter wurde. Auch Hans-Joachim Kulenkampff hatte eine Verbindung zu Bamberger, genauer, zu dessen Tochter Anneliese: Auf einer kleinen Texttafel erinnert sich Kulenkampff, wie er, in HJ-Uniform, „knutschend“ mit ihr im Bürgerpark stand.
Es sind insbesondere die sehr privaten Einblicke in Erinnerungen, Fotoalben und Lebensentwürfe, die das Leben Bambergers und seiner Familie zugänglich machen. Sicher: Da ist auch der innovative Kaufmann, der ständig neue Rabattsysteme und Werbestrategien ersann. Der engagierte Vorsitzende des „Central-Vereins“ Bürger jüdischen Glaubens, der schon sehr früh versuchte, antisemitische Tendenzen zu bekämpfen. „Aber wir wollten nichts stilisieren und schon gar keinen Helden- oder Opfermythos aufbauen“, betont Osten.
Wobei einige Passagen aus Bambergers Leben durchaus solche Züge tragen: Nachdem ihm selbst die Flucht aus dem Internierungslager Camp de Bassens an der Gironde gelang, schlug er sich bis zu den Pyrenäen durch und befreite seine Tochter aus dem Lager Gurs. Heftiger kann Leben kaum sein. Auf der weiteren Flucht in die USA via Lissabon treffen sie Bambergers Sohn wieder. Anneliese, 96 Jahre alt, Zeit ihres Lebens traumatisiert, lebt heute in Los Angeles. Ihre Tochter wird bei der Ausstellungseröffnung kommenden Sonntag dabei sein.
Ausstellungseröffnung: Sonntag, 11 Uhr Hausführung 13 Uhr, ab 14 Uhr ErzählCafé mit den Enkelinnen Bambergers