: Antisemitismus auch ohne Juden
KRITIK Eine Ausstellung in der Andreas-Gemeinde zu Horn untersucht, wie der Hass auf Juden entsteht, woher er stammt, wie er wirkt und wie man ihn besiegt
Seit Ende des Nationalsozialismus zählt das Bekenntnis gegen Antisemitismus zu den Grundvoraussetzungen gesellschaftlichen Mitmachens. Offener Judenhass ist verpönt. Dennoch häufen sich seit einigen Jahren Anschläge auf Synagogen, Schändungen jüdischer Friedhöfe und Angriffe auf Menschen, die jüdische Symbole tragen.
„Man hat sich hierzulande daran gewöhnt“, lautet der Titel einer Ausstellung der Amadeu Antonio Stiftung, die derzeit in der Andreas-Gemeinde in Horn zu sehen ist. Pastor Martin Warnecke hat sie mit den Nachbargemeinden eingeladen und ein umfangreiches Rahmenprogramm organisiert. Die Zunahme antisemitischer Taten beunruhige ihn, sagt er. So hätten ihn in Bremen die anti-israelischen Demos im vergangenen Jahr alarmiert.
Die zehn Ausstellungs-Tafeln führen antisemitische Straftaten der vergangenen Jahre auf, und unternehmen den bemerkenswerten Versuch, das scheinbar Offensichtliche zu erklären: Was Antisemitismus eigentlich ist, und wo er über gruppenspezifischen Rassismus hinaus geht. Antisemitismus habe nichts mit dem tatsächlichen Handeln von JüdInnen zu tun, heißt es dort, „sondern ausschließlich mit den Ängsten und Komplexen der Antisemiten“.
Er sei Reaktion auf ein Unbehagen mit der Komplexität der Welt, das eng mit verschwörungstheoretischem Denken verwandt ist. Die Inhalte sind austauschbar: Für einige Konservative stecken jüdische Agenten hinter Kommunismus und Werteverfall – Teile der Linken identifizieren die Juden mit dem Kapital. In der Wissenschaft heißt es „struktureller Antisemitismus“, wenn von Juden zwar nicht ausdrücklich gesprochen wird, ansonsten aber die Wahnvorstellung einer finsteren Macht hinter den Kulissen der Weltpolitik transportiert wird. Zumal in inner-linken Debatten sehen sich so immer wieder Menschen mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert, die nicht das Geringste gegen Juden haben.
Hier setzt beispielsweise die Israel-Tafel der Ausstellung an, die klar macht, dass Kritik am Staat Israel nicht per se antisemitisch ist, oft aber als Bindeglied verschiedener Antisemitismen dient. Vorgeschlagen werden deshalb Kriterien, israelkritische Aussagen und das eigene Denken zu überprüfen: Antisemitisch ist die Kritik laut denen, wenn Israels Existenzrecht bestritten oder das Leid der Palästinenser mit dem Holocaust gleichgesetzt wird. Und: wenn sie sich mittels überkommener judenfeindlicher Klischees artikuliert, die oft genug aus dem christlichen Mittelalter stammen. Ihre kritische Darstellung hier in den Kirchengemeinden illustriert, wo die Kritik ansetzen muss, um fruchtbar zu sein: bei sich selbst. JAN PAUL KOOPMANN
Bis 22. 3., Werner-von-Siemens-Straße 55. Infos zum Rahmenprogramm: www.kirche-bremen.de