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Archiv-Artikel

Die Parallelwelt des Herrn Sondermann

Von MIR

Neuerdings heißt, über Literatur und Kunst zu schreiben, erst einmal von Gerichtsprozessen zu berichten. Und auch an dieser Stelle kann der soeben im Steidl Verlag erschienene Großband „Sondermann“ des Zeichners Bernd Pfarr nicht besprochen werden, ohne leider zunächst auf eine juristische Auseinandersetzung einzugehen. Dass heißt: Die taz darf den Fall eigentlich nicht einmal mehr erwähnen. Auslöser des bizarren Rechtsstreits war nämlich ein Artikel auf der Wahrheit-Seite der taz, in dem behauptet wurde, der Steidl Verlag habe im Jahr 2006 den bereits fertiggestellten „Sondermann“-Band zurückgehalten zugunsten des Werks eines Bestsellerautors, dessen Name wir hier lieber nicht nennen. Lassen wir also besser Gras über die Sache wachsen. Konzentrieren wir uns ganz aufs Wesentliche, auf die komische Kunst und eine der größten Comicfiguren, die je das Licht der Welt erblickten: „Sondermann“.

Wie durch ein plötzlich aufgerissenes Guckloch schauen wir auf eine Szene, die in einem seltsam schiefen Universum spielt. Selbst rechte Winkel scheinen nur durch die zufällige Annäherung zweier Linien zustande zu kommen. Das ist die Welt von Herrn Sondermann, der stets mit demselben grauen Anzug und Hut ausgerüstet ist und seine Augen hinter einer Brille verbirgt. Sondermann zeigt fast nie Emotionen, dabei hätte er allen Grund, wenigstens zornig zu sein. Denn Sondermann lebt in einer Welt der dauernden Belästigungen. Ob sein Chef oder seine Mutter oder ein merkwürdiger Mann namens Schulze, der ihn mit einer gigantischen Dynamitstange verfolgt, ob Maschinen, die sich verselbstständigen: Sondermann ist umgeben von einer Parallelwelt der Belästiger. Wie er mit diesen Zumutungen zurechtkommt, ist nicht nur rasend komisch, sondern auch herzergreifend tröstlich.

Nach einem schweren Krebsleiden verstarb im Jahr 2004 der Zeichner Bernd Pfarr. Zwischen 1987 und 2004 hatte er die „Sondermann“-Blätter für die Titanic gezeichnet, die jetzt erstmals in dem fantastischen Prachtband gesammelt vorliegen. Sie zeigen, wie Pfarr die Bedrängungen der realen Welt mit seinem Alter Ego und seinem Humor überwand. Das ist große komische Kunst, für die ihm auf ewig ein besonderer Platz im Himmel der Humoristen gebührt. MIR

Bernd Pfarr: „Sondermann“. Herausgegeben von Gabriele Roth-Pfarr. Mit Texten von Elke Heidenreich, Bernd Eilert und Robert Gernhardt. Steidl Verlag, Göttingen 2007, 504 Seiten, 520 Abb., 48 €