: Wenn die düsteren Triebe sprießen
ROMANTIK Mit “Jane Eyre“ hat Cary Joji Fukunaga den viktorianischen Schauerroman entstaubt, indem er sich ganz auf die gespenstige Stimmung der Vorlage konzentriert
VON WILFRIED HIPPEN
Voller Angst flieht eine junge Frau aus einem düsterem Herrenhaus - sie läuft durch Sturm und Wind durch ein ödes Moor, verirrt sich an einem Kreuzweg, bricht auf einer Bergkuppe zusammen und erreicht schließlich völlig durchnässt und erschöpft ein einsam gelegenes kleines Haus. Besser kann ein viktorianisches Melodram kaum beginnen, auch wenn all jene, die „Jane Eyre“ von Charlotte Bronte gelesen haben, sich zuerst darüber wundern werden, dass der Film mit einem Höhepunkt aus der zweiten Hälfte des Buches anfängt. Der amerikanische Regisseur Cary Joji Funkunaga macht von der ersten Einstellung an klar, dass er sich nicht vom Nimbus des viktorianischen Klassikers einschüchtern ließ. Stattdessen erzählt er konsequent filmisch und versucht die Zuschauer gleich in den ersten Minuten mit einer leidenschaftlichen Szene zu packen, in der man von Anfang an Angst um die verwirrte, junge Heldin Jane Eyre haben muss.
Alles was ihr bis zu diesem entscheidenden Moment zugestoßen ist, wird im Laufe des Films in Rückblenden erzählt. Durch diesen Kunstgriff ist es auch möglich, unauffällig vieles aus dem langen Roman wegzulassen. Die Kenner bemerkenDer amerikanische Regisseur Cary Joji Funkunaga macht von der ersten Einstellung an klar, dass er sich nicht vom Nimbus des viktorianischen Klassikers einschüchtern ließ. natürlich die Leerstellen, aber Cary Joji Fukunaga erzählt so ökonomisch und geschickt, dass der Film mit Der amerikanische Regisseur Cary Joji Funkunaga macht von der ersten Einstellung an klar, dass er sich nicht vom Nimbus des viktorianischen Klassikers einschüchtern ließ. 121 Minuten kaum Überlänge hat und dennoch eine in sich stimmige und komplexe Geschichte erzählt, die der Vorlage gerecht wird.
Jane Eyre (Mia Wasikowska) kommt als Waise nach dem Tod ihrer Mutter in der Familie ihrer Tante (Sally Hawkins), die sich eher wie die sprichwörtliche böse Stiefmutter aufführt und das kluge und mutige Mädchen so schnell wie möglich in ein Internat zu schicken, wo die strengen Lehrer vergeblich versuchen durch grausame Strafen ihren Willen zu brechen. Janes freudlose Kindheit wird in wenigen Schlüsselszenen abgehandelt, doch sobald die inzwischen 18jährige im Herrensitz Thornfield ankommt, lässt der Regisseur das Melodram durchstarten. Die Gemäuer sind ebenso düster und geheimnisvoll wie der Hausherr Mr. Rochester (Michael Fassbender). Zwischen Jane und dem viel älteren Gentleman entwickelt sich langsam eine widersprüchliche Beziehung voller sexueller Spannungen, die natürlich im viktorianischen Roman nur unterschwellig, dafür aber um so intensiver schwellen.
Auf den ersten Blick ist Cary Joji Fukunaga nicht unbedingt der passende Regisseur für die Adaption eines Romans aus dem 19. Jahrhundert. Sein Debüt „Sin Nombre“ war ein ganz und gar zeitgenössisches Drama über Flüchtlinge, die auf dem Dach eines Güterzuges durch Mexiko in Richtugn USA fahren. Aber auch dort gelang es ihm, verschiedene Stimmungen und Erzählstile mit erstaunlichem Einfallsreichtum und psychologischen Feinsinn zu einer Einheit zu vereinen, sodass der Film zugleich als eine Odysse, ein Gangsterdrama und eine Liebesgeschichte überzeugte. Auch in „Jane Eyre“ gibt es ähnlich unterschiedliche Ebenen - der Subplot mit der der geheimnisvollen Frau im versteckten Zimmer ist etwa wie eine Gespensergeschichte angelegt - und Fukunaga findet auch in seiner zweiten Regiearbeit immer den richtigen Ton.
Dass diese schwarze Romantik des 19. Jahrhunderts auch heute noch das Publikum tief bewegen kann, sieht man nicht nur an den vielen Leserinnen des Romans, sondern auch am riesigen Erfolg der „Twilight-Saga“, die nur ein dünner Aufguss des viktorianischen Schauerromans ist. Auch dort steht eine tapfere und tugendhafte Heldin im Mittelpunkt und aus Rochester ist inzwischen ein Vampir geworden.