: Was zum Vorschein kommt, ist Pop
AUSSTELLUNG Der n.b.k. zeigt Ulrike Ottingers frühe, in den Sechzigern in Paris entstandene Werke
„Mein Zimmer in Paris war so klein, dass ich nur kleine Bildtafeln malen konnte. Wenn ich sehen wollte, wie sie als Serie oder im Block aussehen, so wie sie jetzt im Kunstverein an der Wand hängen, dann habe ich sie im Hof auf den Boden gelegt und bin mit dem Lastenfahrstuhl hoch, um von oben runterzuschauen. Die Concierge fuhr mit. Schade, dass ich ihre Kommentare nicht dokumentiert habe.“ Das erzählt Ulrike Ottinger so nebenbei, in ihrer Ausstellung im Neuen Berliner Kunstverein. Gezeigt werden Bilder der Malerin Ulrike Ottinger, die als junge deutsche Künstlerin von 1962 bis 1968 in Paris lebte. Fast wären nicht nur die Kommentare der Concierge unbeachtet im Orkus der Geschichte verschwunden, sondern dies ganz Frühwerk unbesehen in Ottingers Elternhaus in Konstanz geblieben. Und das wäre sehr, sehr schade gewesen.
Denn was zum Vorschein kommt, ist Pop: in den seriellen Ordnungen, in der starken Farbigkeit, in der auf Fotografie basierenden Siebdrucktechnik und vor allem auch in den Motiven. Ulrike Ottinger hat ihre Freunde fotografiert und das als Vorlage für Malerei und Siebdruck benutzt, aber auch jede Menge emblematische Motive. Ein „Dieu de guerre“, gebaut als ein hölzerner Altar zum Aufklappen, zitiert außen Figurenschemen der alten Kulturen Mexikos und innen einen Flipperautomaten, waffenstarrend und sexy. Auf einem anderen Bild verwandelt sich die Fackel der Freiheitsstatue in Amerika in eine Keule, und die Soldaten, die darunter vorbeilaufen, denkt man sich als Vietnamkriegskämpfer. In leuchtendem Orange und kontrastreichem Grün ist dieser Siebdruck gestaltet. Man denkt an Andy Warhol und daran, wie er aus der Reproduktion des Fotografischen neue Ikonen gewann, und man denkt an die Lipstick-Bomber von Wolf Vostell. Der ist auf den vielen Fotos, die zu der Ausstellung gehören, auch einmal mit der jungen Ulrike Ottinger zu sehen.
Ende der sechziger Jahre war Ulrike Ottinger nach Konstanz zurückgekehrt, eröffnete eine Galerie und einen Filmclub; von beidem zeigt die Ausstellung schöne Plakate und weitere Dokumente. Ein Porträt von ihr selbst, pausbäckig, kurzhaarig und kaugummiblasend, wurde in den Siebdruckfarben Lila und Rosa zum Plakatmotiv einer Galerie in Bremen.
Marius Babias, Leiter des Neuen Berliner Kunstvereins, gehört zu der Förderkommission, die dem Land Berlin vorgeschlagen hat, Ulrike Ottinger mit dem „Hannah-Höch-Preis“ zu ehren. Der Preis wurde ihr mit der Ausstellungseröffnung verliehen. Die Ehrung im Namen von Hannah Höch ist für Ottinger etwas Besonders. Denn erstens ist es der erste Preis, mit dem ihr die Stadt Berlin für ihr Werk dankt, und zweitens stellt er den grenzüberschreitenden Aspekt in der Vordergrund, das Überlappen ihres filmischen Bilderkosmos in die bildende Kunst. Da ist es kein Wunder, dass die zur Ehrung gehörende Ausstellung Ottinger bei ihren dadaistischen Wurzeln packt und die Künstlerin auch als Sammlerin präsentiert, als Forscherin auf den Spuren von allem, was jenseits der Norm ist.
Das zeigt sich in großen Bilderstrecken von Fotografien, Stichen und Skizzen, die überleiten zu den assoziationsreichen Bilder-Büchern, mit denen Ulrike Ottinger ihre frühen Filme vorbereitet hat. Im Paris der frühen sechziger Jahre fand ihre Leidenschaft für die Ethnologie, die später in den Filmen zum Leitfaden wurde, Nahrung in den Museen und in der Lektüre und den Vorlesungen von Claude Lévi-Strauss und Michel Leiris. In ihren Bildersammlungen verbinden sich die ethnologischen Motive mit Freaks und Monstrositäten, mit androgynen und mythologischen Figuren zu einem großen Kosmos des irgendwie Anderen. Man spürt die Euphorie, mit der nach diesem Anderen gefahndet wurde, in diesen Bilderketten noch immer. Und damit ist man aus den sechziger in den siebziger Jahren angekommen und nähert sich allmählich dem vertrauten Bild der Künstlerin.
KATRIN BETTINA MÜLLER
■ n.b.k., Ulrike Ottinger, bis 22. Januar 2012, Di.–So. 12–18 Uhr, Do. 12–20 Uhr