DIE GESELLSCHAFTSKRITIK : Man tut es. In der Schweiz
WAS SAGT UNS DAS? Lucio Magri, Kultfigur der italienischen Linken, hat seinem Leben ein Ende gesetzt – in Zürich. Und Italien debattiert nun wieder neu über Sterbehilfe
Eine Persönlichkeit jenseits der üblichen Regeln. Das war Lucio Magri, seit er aus der KPI ausgeschlossen wurde, weil er den Prager Frühling unterstützte. Er war unbeugsam, „wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte“, erinnert sich Valentino Parlato, der gemeinsam mit ihm die Tageszeitung Il Manifesto gründete.
Ein Mann des Widerspruchs also, der auf „extremer Rationalität“ beruhte, aber auch einer starken Emotionalität – die ihn zu seinem letzten Schritt trieb. Am Montag starb Magri 79 Jahre alt in Zürich. Ein Arzt half ihm, aus dem Leben zu scheiden: nicht weil er an einer unheilbaren Krankheit gelitten hätte, sondern weil der Schmerz über den Verlust seiner Frau Mara unerträglich war.
Seine Freunde trauern um ihn, weil sie glauben, nicht genug getan zu haben, um ihn von dem Schritt abzuhalten, der in Italien eine heftige Debatte über die Hilfe zum Selbstmord neu ausgelöst hat. Sie endet unweigerlich in den alten ideologischen Gräben. Viele italienische Politiker, auch Christdemokraten und Katholiken, erwiesen Magri allerdings die letzte Ehre und vermieden bewusst eine offene Konfrontation. Auch Avvenire, die Tageszeitung der katholischen Bischöfe, äußerte Mitgefühl, betonte jedoch: „Wahre Barmherzigkeit ist Hilfe zum Leben.“
Lucio Magris letzte Reise wurde aber auch zum Symbol derjenigen, die wie die Radikalenpartei fordern, der „Verlogenheit des ‚Man tut es, aber man sagt es nicht‘ “ ein Ende zu setzen. „Der Tod ist Teil des Lebens, also gehört er uns“, erklärte etwa die frühere EU-Kommissarin Emma Bonino. Einigkeit herrscht jedenfalls darüber, dass Italien ein Gesetz über Patientenverfügungen braucht, das den Betroffenen die Entscheidung über medizinische Behandlungen überlässt.
Magri wird als Freigeist und Intellektueller in die Geschichte eingehen, aber sein Name wird künftig auch neben dem von Eluana Englaro stehen. Das Schicksal der jungen Frau, die 17 Jahre im Koma lag, spaltete Italien. Ihr Vater kämpfte für den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen und bekam schließlich recht. Eluana starb, vier Tage nachdem man ihr die Magensonde entfernt hatte. Ministerpräsident Berlusconi hatte mit einer Notverordnung versucht, die vom Gericht bestätigte Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zu verhindern.
FRANCESCA SABATINELLI
■ Die Autorin ist Gastredakteurin im Rahmen eines vom Goethe-Institut initiierten deutsch-italienischen Journalistenaustauschs